Der Schatten von Thot
noch dazu, ihr Messer herauszureißen, und sah dann, wie dunkles Blut aus der Wunde wölkte – ehe sie von etwas hart am Kopf getroffen und zur Seite gedrückt wurde.
Für einen Moment trieb sie benommen im Wasser, ehe ihre brennenden Lungen sie wieder zu Bewusstsein brachten. Sarah begriff, dass sie hinauf musste, um Luft zu holen. Mit aller Kraft stieß sie sich vom Boden ab, paddelte mit Armen und Beinen, und durchstieß im nächsten Moment die Oberfläche.
Gierig saugte sie die Luft in ihre Lungen, dankbar, noch am Leben zu sein. Als sie jedoch die Augen öffnete, blickte sie in einen gähnenden Schlund, der sich auf sie stürzte. Ihr Messer hatte sie verloren, es lag irgendwo auf dem Grund des Beckens, und sie war zu geschwächt, um zu fliehen. In diesem Moment wurde Sarah Kincaid klar, dass die Suche nach dem Buch des Thot für sie zu Ende war.
Gefasst blickte sie dem Grauen entgegen, das unendlicher langsam auf sie zuzukommen schien, obgleich es in Wahrheit nur Sekundenbruchteile waren; wartete darauf, dass die scheußlichen Kiefer der Kreatur sie packen und unter Wasser zerren würden.
Dass es nicht dazu kam, war den kräftigen Händen zu verdanken, die Sarah unvermittelt packten und aus dem Wasser zerrten, nur einen Augenblick, bevor die Bestie ganz heran war. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel stieß ein Husarensäbel herab und fuhr in den weit geöffneten Schlund der Kreatur, die in gurgelndes Gebrüll verfiel.
Sarah landete auf hartem Fels und blickte in das verwegen grinsende Gesicht Kamals. Dann wurde sie auch schon auf die Beine gerissen, und obwohl ihre Knie weich und ihre Kräfte fast erschöpft waren, stolperte und rannte sie zusammen mit ihren beiden Rettern den Vorsprung hinab, der sich auf der anderen Seite der Einbruchstelle fortsetzte. Die Krokodile fielen hinter ihnen zurück, wohl weil die gefräßigen Tiere sich zunächst an ihren tödlich verwundeten Artgenossen gütlich tun wollten – ihre menschliche Beute konnte ihnen ja nicht entkommen.
Erleichtert registrierte Sarah, deren Lungen wie Feuer brannten und deren Beine wie Espenlaub zitterten, dass der Vorsprung sich vor ihnen verbreiterte. Endlich erreichten sie die Stirnseite der Höhle, wo sich eine steinerne Plattform mit einem großen Opferstein darauf erhob. Unmittelbar dahinter ragten, drohend und finster, die Formen einer riesigen Statue empor.
Der Sockel war mit Hieroglyphen versehen, die auch nach all der Zeit noch gut lesbar waren; die Figur selbst jedoch hatte unter der hohen Luftfeuchtigkeit arg gelitten. Ihr Haupt saß nicht mehr auf den Schultern, aber an den Trümmern, die auf der Plattform verteilt lagen, erkannte Sarah, dass es der lange, gewundene Hals eines Ibisses gewesen sein musste. Kein Zweifel: diese Statue hatte einst Thot dargestellt, den Gott des Mondes und Herrn dieses Tempels!
Hayden und Kamal ließen sie los, und sie fiel erschöpft nieder. Auch ihre männlichen Begleiter sanken zu Boden und rangen nach Atem. Ihnen allen war klar, wie knapp sie dem Tod entronnen waren.
»Danke, Gentlemen«, stieß Sarah hervor. »Das war Rettung in allerhöchster Not.«
»Nein, Lady Kincaid, ich habe zu danken«, widersprach Kamal keuchend. »Mutaschakkir-ktir { * } ! Ihr Wagemut ist erstaunlich. Sie haben Ihr Leben riskiert, um das eines nichtswürdigen Dieners zu retten.«
»Du bist ein Freund, Kamal. Außerdem«, fügte sie mit mattem Grinsen hinzu, »hast du kurz darauf mir das Leben gerettet. Du siehst also, meine Tat war nicht so selbstlos, wie es den Anschein hat.«
»Selbstlos?«, fauchte Hayden, der ziemlich mitgenommen aussah: Seine Uniform war durchnässt und zerschlissen, sein Haar stand wirr nach allen Seiten. »Was Sie getan haben, war nackter Wahnsinn und völlig unverantwortlich. Und was, in aller Welt, sind das für hässliche Biester?«
»Weiße Krokodile«, erwiderte Sarah. »Die Ägypter haben sie als heilig verehrt.«
»Was Sie nicht sagen. Ihre heiligen Krokodile haben gerade zwei von meinen Leuten gefressen.«
»Das ist mir nicht entgangen.«
»Und was jetzt?«
»Die Krokodile werden wieder angreifen, das steht fest«, meinte Sarah überzeugt. »Zu diesem Zweck sind sie hier: Sie sind die Bewacher des Tempels. Wahrscheinlich nisten sie seit dreitausend Jahren hier.«
»Großartig«, schnaubte Hayden. »Dann dürfte damit auch zweifelsfrei geklärt sein, was damals den Franzosen zugestoßen ist.«
»Allerdings«, stimmte Sarah zu. »Die Frage ist also, wie man an den Biestern
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