Der Schatten von Thot
verfallenen Ruinen einer alten Festung erhoben, verschwamm hinter flimmernden Schleiern.
Zur Feldflasche zu greifen und einen Schluck daraus zu nehmen war für Sarah Kincaid und ihre Begleiter zur Gewohnheit geworden. In der Hitze der Wüste verlor der menschliche Körper rund zwei Gallonen Wasser am Tag, schon nach dem Verlust der ersten Gallone traten Symptome der Austrocknung auf: Die Haut wurde spröde und rissig, Schwindelgefühle waren die Regel, Fieber keine Seltenheit. Wenn der Körper dann noch mehr Flüssigkeit verlor, waren die Folgen absehbar…
Als sich die Späher näherten, ließ Sarah ihr Kamel schneller traben und schloss zu Hayden auf. Was die beiden Kundschafter zu berichten hatten, gefiel ihr allerdings ganz und gar nicht…
»… besteht kein Zweifel, Sir«, hörte sie den einen der beiden sagen. »Jene Berge dort dürften sich nicht nördlich von uns befinden, sondern müssten weiter südlich liegen. Wir müssen von unserer Route weit abgekommen sein.«
»Ausgeschlossen, Corporal«, fuhr Hayden seinen Untergebenen an. »In dieser verdammten Wüste sieht ein Berg aus wie der andere. Sicher haben Sie sich geirrt.«
»Nein, Sir«, beharrte der Unteroffizier und deutete auf die Karte, die er bei sich hatte. »Die Route, die Lady Kincaid berechnet hat, hätte uns eigentlich nördlich an diesen Bergen vorbeiführen müssen, aber nun befinden wir uns südlich von ihnen. Wie es aussieht, sind wir um mehr als vierzig Meilen vom Weg abgekommen.«
»Vierzig Meilen? Wie ist das möglich?« Hayden sandte Sarah einen fragenden Blick zu, die allerdings auch keine Antwort wusste.
Nach Sonnenuntergang hatten sie stets versucht, eventuelle Abweichungen vom Kurs anhand der Sternenkonstellation zu korrigieren. Da Sarah die Notizen, die sie im Tempel von Hermopolis gemacht hatte, stets bei sich trug, waren zumindest diese nicht gestohlen worden. Sich tagsüber zu orientieren, war schwerlich möglich, solange die Sonne hoch am Himmel stand. Den Expeditionsteilnehmern war also nichts anderes übrig geblieben, als sich auf den Kompass zu verlassen.
Sollte er sie getrogen haben…?
Sarah und Hayden hatten beide denselben Gedanken. Hayden nahm das Instrument, das ihnen vier Tage lang den Weg durch die Wüste gewiesen hatte, aus der Satteltasche und unterzog es einer Untersuchung. Vorsichtig drehte er den Kompass in seiner behandschuhten Rechten und betrachtete ihn von allen Seiten, konnte jedoch nichts Auffälliges daran entdecken. Dann reichte er ihn an Sarah weiter, die das Gerät leicht schüttelte und die Nadel auf ihre Gängigkeit prüfte. Auf den ersten Blick schien mit dem Kompass alles in Ordnung zu sein.
Kurzerhand zückte Sarah den Dolch, den sie seit Verlust ihres Jagdmessers im Gürtel trug, und bewegte die Klinge über die Kompassnadel hinweg. Zu ihrem Entsetzen stellte Sarah fest, dass die magnetische Nadel auf das Metall nicht reagierte.
»Etwas ist faul an diesem Gerät«, stellte sie fest und benutzte die Waffe dazu, das hölzerne Gehäuse zu öffnen. Was darin zum Vorschein kam, erklärte nur zu schlüssig, weshalb die Expedition so weit von ihrer ursprünglichen Route abgekommen war. Jemand hatte den Kompass manipuliert, indem er ein winziges Stück Metall im Gehäuse platziert und so dafür gesorgt hatte, dass die Nadel nicht exakt nach Norden, sondern vielmehr nach Nord-Nordwest wies. Das erklärte die Abweichung, aber eine Frage blieb…
»Wer?«, schnaubte Sarah. »Wer hat das getan?«
»Können Sie sich das nicht denken?«
»Doch«, gestand Sarah frustriert. »Kamal hatte von Beginn an ein massives Interesse daran, dass wir unser Ziel nicht erreichen. Außerdem wusste er, wo wir den Kompass aufbewahren. Es besteht kein Zweifel, dass er es gewesen ist.«
»Tja«, meinte Hayden genüsslich, »damit dürfte dann wohl auch endgültig geklärt sein, auf wessen Seite Ihr ach so loyaler Führer steht, oder?«
Sarah widersprach nicht, aber einmal mehr verwünschte sie sich für ihren Leichtsinn. Hatte du Gard ihr nicht gesagt, dass sie nicht so gutgläubig sein durfte? Dass sie lernen musste, mit den Augen des Feindes zu sehen und wie er zu denken?
Kamal hatte sich nicht nur Sarahs Vertrauen erschlichen, sondern ihr auch ihr größtes Geheimnis entlockt, nur um sie schändlich zu hintergehen und auszurauben. Vieles sprach dafür, dass er tatsächlich für die Gegenseite arbeitete. Hatte er nicht von Anfang an versucht, die Suche nach dem Buch von Thot zu unterbinden? Hatte er Sarah nicht
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