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Der Schatten von Thot

Der Schatten von Thot

Titel: Der Schatten von Thot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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schließen, dass Allah Größeres mit Ihnen vorhat. Was Ihnen widerfahren ist, ist ein Zeichen, ein Wink des Schicksals. Was es bedeutet, vermag ich nicht zu sagen, aber es scheint mir offensichtlich, dass Sie auserwählt sind.«
    »Auserwählt? Wozu?«
    »Das weiß ich nicht. Aber es muss eine Bedeutung haben, dass Ihnen Ihre Vergangenheit vorenthalten wird. Sie sind etwas Besonderes, Sarah Kincaid, das wusste ich von dem Augenblick an, in dem wir uns zum ersten Mal begegneten.«
    Kamal schaute sie unverwandt an, und für einen Moment begegneten sich ihre Blicke über den Flammen – ein Moment, der einen Lidschlag länger währte, als es noch schicklich gewesen wäre. Dabei hatte Sarah das Gefühl, in den dunklen Augen des Ägypters zu versinken.
    »Ich werde Ihr Geheimnis in meinem Herzen verwahren und vor niemandem ein Wort darüber verlieren«, versprach er.
    »So wie ich das deine«, erwiderte sie.
    »Ich weiß.« Kamal nickte, dann erhob er sich. »Gute Nacht, Sarah.«
    »Gute Nacht, Kamal.«
    Er zögerte, schien noch etwas sagen zu wollen, entschied dann aber anders und wandte sich ab, um hinüber zum Pferch zu gehen, wo die Kameltreiber ihr Lager hatten und wo sich auch sein Schlafplatz befand.
    »Kamal?«, rief Sarah ihm hinterher.
    »Ja?« Er wandte sich noch einmal um.
    »Es ist nach Mitternacht«, erklärte sie. »Ich wünsche dir ein gutes neues Jahr, Kamal.«
    Der Ägypter lächelte rätselhaft.
    »Inschallah«, sagte er nur.

 
    9
     
     
     
    P ERSÖNLICHES T AGEBUCH
    N ACHTRAG
     
    Der Schlaf in dieser Nacht währte nicht lange. Hätte ich geahnt, was mir bevorstand, hätte ich vermutlich kein Auge zugetan. So jedoch fand ich zumindest für einige Stunden Ruhe.
    Ob es an meinem Gespräch mit Kamal lag oder nur an den Strapazen der vorangegangenen Tage, vermag ich nicht zu beurteilen – jedenfalls ereilten mich in dieser Nacht nicht die grausamen Bilder, die mich seit Vaters Tod immer wieder verfolgten.
    Ist dies ein Zeichen des Schicksals?
    Das Morgenland vertritt die Ansicht, dass alles im Leben vorherbestimmt ist, während wir Briten uns gerne mit der Auffassung trügen, wir wären unseres eigenen Glückes Schmied.
    Die Wahrheit, so vermute ich, liegt irgendwo dazwischen…
     
     
    O ASE B AHARIA
    1. J ANUAR 1884
     
    Sarah schreckte aus dem Schlaf, als jemand sie an der Schulter berührte. Jäh schlug sie die Augen auf und gewahrte eine riesenhafte, dunkle Gestalt, die ungefragt in ihr Zelt gekommen war und auf sie herabblickte. Sarah reagierte, noch ehe sie ganz zu sich gekommen war, und griff mit einer fließenden Bewegung nach dem Revolver.
    »Ich bin es nur, Hayden«, gab eine vertraute Stimme Entwarnung.
    Eine Kerze wurde entzündet, in deren spärlichem Licht Sarah tatsächlich die Züge des Offiziers erkennen konnte – und sofort sah sie die Sorge darin.
    »Was ist geschehen?«, fragte sie, setzte sich auf und wischte mit einer energischen Bewegung den Schlaf aus den Augen. Es war früher Morgen; die Dämmerung hatte kaum eingesetzt, und ein mattblaues Leuchten fiel durch den offenen Eingang in das Zelt.
    »Schlechte Neuigkeiten«, verkündete Hayden verdrießlich. »Die Arbeiter sind verschwunden.«
    »Was?« Aufgebracht sprang Sarah von der Pritsche, worauf Hayden sich beschämt abwandte. Da Sarah jedoch lediglich ihre Stiefel abgelegt hatte, bestand dazu kein Grund. Mit ausgreifenden Schritten stürzte sie aus dem Zelt hinaus ins Freie – und fand die Worte des Offiziers bestätigt.
    Das Lager war verlassen.
    Wo die Träger und Gräber sich am Abend zuvor niedergelassen hatten, war nun weit und breit niemand zu sehen. In dunkler Nacht hatten sie ihre Sachen gepackt und sich davongestohlen…
    Gehetzt blickte Sarah hinüber zum Kamelpferch. Bis auf die Kamele der Briten waren auch die Lasttiere und ihre Treiber verschwunden – und mit ihnen auch alles, was sie getragen hatten.
    »Die Ausrüstung?«, fragte Sarah bange.
    Hayden schüttelte den Kopf.
    »Die Vermessungsgeräte? Das Grabwerkzeug?«
    Erneut verneinte der Offizier.
    »Wo ist Kamal?«, fragte Sarah fassungslos. »Er muss mir das hier erklären.«
    »Kamal ist nicht hier«, erwiderte Hayden schlicht.
    »Was heißt das?«
    »Das heißt, dass er sich ebenfalls aus dem Staub gemacht hat«, erwiderte der Offizier, und Sarah konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass er jedes einzelne Wort genoss.
    »Das kann und will ich nicht glauben.«
    »Es wird Ihnen nichts anderes übrig bleiben, Lady Kincaid. Meine Leute haben

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