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Der Schatten von Thot

Der Schatten von Thot

Titel: Der Schatten von Thot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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Gesichtstuchs war ein Beleg dafür: Es sollte die Männer vor bösen Geistern bewahren. Und möglicherweise hatte sich bei den Wüstenkriegern auch der Glaube an eine uralte, an anderen Orten längst vergessene Gottheit erhalten…
    »Wie geht es dir?«, fragte jemand auf Englisch.
    Sarah fuhr herum.
    Durch einen Vorhang, der den Hauptraum des Zeltes von einer der kleineren Nebenkuppeln trennte, trat ein Mann, der weiße Pluderhosen trug, dazu eine dunkelblaue Robe und den ebenso blauen tagelmust. Das Gesichtstuch dämpfte den Klang seiner Stimme, dennoch hatte Sarah das Gefühl, sie zu kennen.
    »Danke«, erwiderte sie zögernd. »Es geht mir gut – und das verdanke ich Ihnen, wie ich vermute.«
    »Du bist weit gekommen«, erwiderte der Tuareg, während Sarah seine Identität anhand seiner Augen zu entschlüsseln versuchte. »Wer hätte das gedacht?«
    »Wer sind Sie?«, wollte Sarah wissen, aber der Vermummte ging nicht darauf ein.
    »Mein Volk«, fuhr er unbeeindruckt fort, »bezeichnet dieses Land als ténéré, was schlicht ›Nichts‹ bedeutet. Und nichts gibt es zu finden in dieser großen Leere außer den Tod – und er hätte dich beinahe ereilt. Schon hatte der Schakal deine Spur aufgenommen und wollte sich auf dich stürzen, als das Leben schon fast aus dir gewichen war. Aber es war sein Leben, das genommen wurde – durch meine Hand.«
    In Sarahs Bewusstsein stieg eine matte Erinnerung auf. »Der Schuss«, flüsterte sie. »Das sind Sie gewesen…«
    »Als wir dich fanden, hatte die Wüste dich fast besiegt. Es war kaum noch Leben in dir. Nicht viel hätte gefehlt, und nicht das Leben, sondern der Tod hätte triumphiert. Aber in dir wohnt ein starker Wille, der dir die Kraft gegeben hat zu überleben. Zehn Tage und zehn Nächte lagst du im Fieber, aber schließlich…«
    »Zehn Tage und zehn Nächte?«, fragte Sarah ungläubig. »So lange bin ich bereits hier?«
    »Allerdings. Aber am Ende hast du das Fieber bezwungen. Das Schicksal meint es gut mit dir, Sarah Kincaid.«
    »Sie… Sie kennen meinen Namen?«
    »Nicht nur das. Ich habe auch in dein Herz geblickt und weiß, dass du nichts Böses im Schilde führst. Andernfalls hätte ich dich nicht hierhergebracht, sondern dich in der Wüste sterben lassen.«
    »Wer sind Sie?«, fragte Sarah noch einmal, während ihr ein leiser Verdacht zu dämmern begann. Konnte es tatsächlich sein, dass…
    Der Tuareg nickte bereitwillig und entfernte den Gesichtsschleier. Darunter kamen – Sarah traute ihren Augen nicht – die vertrauten Züge von Kamal zum Vorschein. Aber wie sie sich verändert hatten!
    Jede Unterwürfigkeit und Beflissenheit war daraus gewichen. Der Mann, der Sarah gegenüberstand, war kein Bediensteter, der seine weißen Herren durch die Wüste führen sollte. Im Gegenteil. Kamals Haltung, sein Blick und seine unbewegte Miene hatten etwas Würdevolles, Ehrfurchtgebietendes, das Sarah tief beeindruckte.
    »Kamal«, entfuhr es ihr staunend. »Du…?«
    »Deiner Überraschung entnehme ich, dass du nicht damit gerechnet hattest, mich noch einmal zu sehen«, stellte er fest. »Wie fühlte es sich an, aufzuwachen und festzustellen, dass alle dich verlassen haben?«
    »Es war erniedrigend«, gab Sarah zu. »Aber dieser Zustand währte nicht lange. Ich beschloss, die Expedition auf eigene Faust fortzusetzen…«
    »… und diese Entscheidung hätte beinahe sowohl dich als auch deine Gefährten das Leben gekostet.«
    »Meine Gefährten?«, erkundigte sich Sarah. »Soll das heißen…?«
    »Es geht ihnen gut«, versicherte Kamal. »Sie sind wohlauf und am Leben und genießen unsere Gastfreundschaft genau wie du.«
    Sarah atmete sichtlich auf. Irgendwie hatten Hayden und die anderen es also geschafft, den Sturm zu überleben, wenn auch wohl nur mit Hilfe der Tuareg. Das Gefühl, nicht ganz allein im Lager der Wüstenkrieger zu sein, gab ihr ein wenig Mut.
    »Gastfreundschaft?«, fragte sie. »Als ich erwachte, war ich gefesselt.«
    »Nur zu deinem eigenen Schutz«, versicherte Kamal.
    »Zum Schutz wovor?«
    »Vor dir selbst und vor dem, was du dir im Fieberwahn antun könntest. Du bist keine Gefangene, ebenso wenig wie deine Gefährten. Willst du zu ihnen?«
    »Später«, erwiderte Sarah, sich zur Ruhe zwingend. »Zunächst möchte ich wissen, was es mit alldem hier auf sich hat. Weshalb bist du wie ein Tuareg gekleidet?«
    »Weil ich ein Tuareg bin.«
    »Ich dachte, du wärst in England aufgewachsen und erzogen worden…«
    »Das bin ich auch. Aber ich

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