Der Schatten von Thot
verlangen nur die Herausgabe einer einzigen Person – Sarah Kincaid.«
Ihren eigenen Namen in diesem Zusammenhang zu hören, verursachte Sarah Übelkeit. Dennoch bewahrte sie Haltung. Ein anderer war es, der die Fassung verlor.
»La«, lehnte Kamal kategorisch ab. »Das kommt nicht in Frage!«
»Er hat Recht«, stimmte Sir Jeffrey zu.
»Dann werden Sie alle sterben, Gentlemen«, kündigte Sarah an.
»Sterben werden wir sowieso.« Kamal schüttelte den Kopf. »Ich sagte es dir schon, Sarah: Diese Leute sind auf Vernichtung aus, Tod und Zerstörung sind ihre Begleiter. Was auch immer sie dir versprechen, sie werden uns in jedem Fall töten.«
Sarah biss sich auf die Lippen. Ihr entging nicht, wie Frauen und Kinder sie anschauten; obwohl sie der englischen Sprache nicht mächtig waren, schienen sie mitbekommen zu haben, was der Reiter forderte, und ihre Blicke enthielten vage Hoffnung. Hoffnung, die Sarah am Leben halten oder zerstören konnte…
»Was geschieht mit meinen Gefährten, wenn ich mich ergebe?«, rief sie dem Vermummten zu.
»Ihnen wird freies Geleit gewährt.«
»Wer garantiert mir, dass ihr euer Wort haltet?«, fragte Sarah und hätte schwören können, dass das Gesicht des Reiters unter dem Tuch boshaft grinste.
»Niemand«, gab er zu. »Du wirst uns vertrauen müssen.«
Sarah atmete tief durch. Um zu ergründen, wie weit ihr Vertrauen zu diesen Leuten ging, brauchte sie nur an das zu denken, was dem armen Farnsworth widerfahren war. Wiederholt hatten die Vermummten gezeigt, dass sie vor keiner Untat zurückschreckten – und nun sollte Sarah sich freiwillig in ihre Gewalt begeben?
»Tu es nicht, Sarah«, redete Kamal beschwörend auf sie ein, der ihre Gedanken zu erraten schien. »Das ist es nicht wert…«
»Das soll es nicht wert sein?« Sarah schüttelte den Kopf. »Wir haben hier unschuldige Frauen und Kinder…«
»Diese Frauen und diese Kinder sind Tuareg«, erklärte Kamal stolz. »Der Kampf ist ihr Leben, und sie werden das Rechte tun, wenn es darauf ankommt.«
»Das heißt, sie werden sterben, wenn ich mich nicht ausliefere.«
»Dieses Schicksal droht ihnen ohnehin. Meherets Erben pflegen ihr Wort niemals zu halten. Der Verrat folgt ihnen wie ein Schatten, verstehst du?«
Sarah nickte. Sie erinnerte sich gut an die Worte des alten Ammon, und natürlich ahnte ein Teil von ihr, dass Kamal Recht hatte. Dennoch – durfte sie aufgrund einer bloßen Vermutung all diese Frauen und Kinder zum sicheren Tod verurteilen?
Natürlich hatte Sarah Angst, natürlich fürchtete sie sich davor, sich in die Gewalt des Feindes zu begeben und seiner Willkür auszusetzen – aber solange auch nur die kleinste Chance bestand, dass die Vermummten dieses eine Mal ihr Wort hielten und Unschuldige gerettet wurden, gab es keine andere Möglichkeit.
»Ich habe keine andere Wahl«, stellte Sarah deshalb fest. »Wenn ich mich weigere, sind wir in jedem Fall verloren. So bleibt zumindest die Chance, dass ihr überleben werdet.«
»Diese Chance trügt«, beharrte Kamal.
»Wie können wir da so sicher sein?«, sprang Milton Fox Sarah bei. »Sollten wir nicht zumindest die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass der Vermummte die Wahrheit sagt? Dass er und seine Leute diesmal ihr Wort halten werden? Das scheint mir die vernünftigere Haltung zu sein, als sich allen Verhandlungen zu verschließen und auf das sichere Ende zu warten.«
»Mit Verlaub, Inspector«, sagte Sir Jeffrey, noch ehe irgendjemand sonst etwas erwidern konnte, »Sie sind ein elender Feigling. Um Ihre eigene Haut zu retten, schrecken Sie nicht einmal davor zurück, diesen Barbaren eine Schutzbefohlene Lady auszuliefern.«
»Schutzbefohlen?« Fox hob die dünnen Brauen. »Weder bin ich Lady Kincaids Leibwächter noch ihre persönliche Begleitung, von daher verstehe ich Ihren Einwand nicht, Sir Jeffrey.«
»Nein?« Der königliche Berater sandte ihm einen tadelnden Blick zu. »Vielleicht verstehen Sie es ja tatsächlich nicht. Allerdings frage ich mich, wie Sie jemals wieder in einen Spiegel blicken wollen, ohne dabei vor Scham in Tränen auszubrechen. Lady Kincaid«, wandte er sich darauf an Sarah, »ich bewundere Ihren Mut und Ihre Haltung, aber ich werde nicht zulassen, dass Sie sich allein dem Feind überantworten. Sollten Sie sich entschließen zu gehen, so werde ich Sie begleiten.«
»Das ist sehr ritterlich von Ihnen, Sir Jeffrey«, entgegnete Sarah, »aber man hat nur meine Herausgabe verlangt, und ich werde nicht zulassen, dass
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