Der Schatten von Thot
verzog das Gesicht. »Das kann ich kaum glauben.«
»Nicht nur das, Sir Jeffrey.« Sarah lächelte freudlos. »Der Engländer ist auch der Kopf der Bande.«
»Das stimmt«, pflichtete ihr Onkel ihr bei. »Ich habe mehrfach mitbekommen, wie er den anderen Anweisungen erteilte. Woher weißt du das, mein Kind?«
»Ich war von Anfang an der Ansicht, dass die Informationen, die diese Leute über das britische Königshaus besitzen, zu intim sind, als dass eine Hand voll ägyptischer Aufständischer sie sich beschafft haben könnte. Wir haben es hier mit einer ausgewachsenen Verschwörung zu tun, und ich habe allen Grund zu der Annahme, dass die Ägyptische Liga darin verwickelt ist.«
»Die Ägyptische Liga?« Laydon starrte sie fassungslos an. »Weißt du auch, was du da sagst, mein Kind?«
»Ich denke doch, Onkel.«
»Aber«, stammelte Sir Jeffrey fassungslos, »weshalb haben Sie mir die ganze Zeit über nichts davon gesagt?«
»Weil es zum einen nichts an unserer Mission geändert hätte«, entgegnete Sarah, »und weil ich zum anderen nicht sicher sein konnte…«
»… ob ich nicht auf der Seite des Feindes stehe«, vervollständigte Sir Jeffrey den Satz mit regloser Miene. »Ich verstehe.«
»Verzeihen Sie mein Misstrauen, aber du Gard und ich waren der Ansicht, dass es die einzige Möglichkeit wäre, herauszufinden, ob sich ein Verräter in unseren Reihen befindet. Nun jedoch ist du Gard tot, und ich sehe nicht, weshalb…«
»Du Gard ist tot?«, fragte Laydon entsetzt. Der Tod des Franzosen war einer jener Punkte, die Sarah verschwiegen hatte, weil es ihr noch immer schwerfiel, darüber zu sprechen.
»Ja«, bestätigte sie auch jetzt nur lakonisch.
»Sarah.« Mortimer Laydon biss sich auf die Lippen. »Das tut mir leid. Der Gedanke, dass ein dir vertrauter Freund auf der Suche nach mir das Leben verlor, ist mir unerträglich…«
»Ich weiß, Onkel Mortimer«, beschwichtigte Sarah. »Mach dir keine Gedanken darüber. Wenn jemand Verantwortung für das trägt, was geschehen ist, so bin ich das. Vielleicht hattest du Recht, Kamal. Wir haben an etwas gerührt, das besser verborgen geblieben wäre, und nun bezahlen wir den Preis dafür.«
»Das dürfen Sie nicht sagen«, wandte Sir Jeffrey ein, noch ehe der Tuareg antworten konnte. »Sie vergessen, dass diese Suche nicht allein Ihrem Onkel galt, sondern dass es auch darum ging, der Vergangenheit ein großes, vielleicht das letzte bedeutende Geheimnis zu entreißen. Und auf diesem Weg sind Sie weit gekommen, Lady Kincaid! Sie haben die Archäologie einen bedeutenden Schritt vorangebracht, und ich bin sicher, dass Ihr Vater sehr stolz auf Sie wäre.«
»Kaum, Sir Jeffrey.« Sarah schüttelte den Kopf. »Mein Vater hatte sich mit Leib und Seele der Archäologie verschrieben, in der Vergangenheit fand er Ziel und Bestimmung. Aber er hätte es niemals gutgeheißen, dass wissenschaftliche Erleuchtung mit dem Blut unschuldiger Menschen erkauft wird.«
»Unsinn«, schnaubte Sir Jeffrey. »Was geschehen ist, ist geschehen, Sie hätten es nicht verhindern können. Niemand konnte mit dem Angriff dieser Wilden rechnen. Und große Entdeckungen haben zu jeder Zeit auch Opfer erfordert.«
»Große Entdeckungen?« Mortimer Laydon schaute Sarah fragend an. »Demnach hast du gefunden, wonach diese Sektierer suchen?«
»Das nicht«, verneinte Sarah, »aber ich weiß, wo sich jener Ort befindet, den sie ›Thots Schatten‹ nennen. Dort liegt verborgen, wonach seit dreitausend Jahren immer wieder vergeblich gesucht wurde: das Buch von Thot mit all den Geheimnissen, die es birgt. Ich wusste, dass die Suche danach mich früher oder später zu dir führen würde, Onkel Mortimer.«
»D-das ist unglaublich«, hauchte der Arzt. »Und wie…?«
»Still«, zischte Kamal, der bislang beharrlich geschwiegen hatte. »Ich höre Schritte. Es kommt jemand.«
Tatsächlich waren im nächsten Augenblick knirschende Schritte im Sand zu hören, die sich rasch näherten. Die Schäfte von Sonnenlicht, die das Innere der Hütte erhellten, flackerten, und die aus schäbigem Holz gezimmerte Tür wurde geöffnet. Ein großer, von Kopf bis Fuß schwarz gekleideter Mann trat ein, in dem Sarah sofort den Hauptmann der Krieger erkannte, mit dem sie in der Nacht verhandelt hatte.
»Gut«, sagte er in seinem akzentbeladenen, aber flüssigen Englisch. »Ich sehe, Sie haben Gesellschaft gefunden, Doktor. Sind Sie nun zufrieden?«
»Keineswegs.« Laydon schüttelte den Kopf. »Zufrieden werde ich
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