Der Schatten von Thot
sie die Bajonette auf die Läufe ihrer Gewehre und warteten mit grimmigen Mienen, was weiter geschehen würde. Sarah griff kurzerhand nach Haydens Säbel und zog ihn blank. Sie war nicht gewohnt, damit zu kämpfen, aber sie war entschlossen, ihre Haut so teuer wie möglich zu verkaufen.
Mit zu schmalen Schlitzen verengten Augen starrte Sarah in die Dunkelheit, die sich inzwischen herabgesenkt hatte und nur vom Flackern der Feuer durchbrochen wurde; wartete darauf, dass die Vermummten erneut auftauchen und angreifen würden, dass der Kampf ein blutiges Ende nahm.
Aber die Vermummten kehrten nicht zurück.
Die Nacht hatte sie mitsamt ihrer schwarzen Rösser verschluckt und schien sie nicht wieder ausspucken zu wollen. Jedenfalls war das Sarahs Eindruck, als sie ihren Blick über das zerstörte, von irrlichternden Flammen beleuchtete Lager schweifen ließ.
»Was ist los?«, fragte Sir Jeffrey verwundert. »Wo sind sie geblieben?«
»Fort«, antwortete Sarah nur. »Sie haben sich zurückgezogen.«
»Dann haben wir den Kampf gewonnen«, folgerte Fox hoffnungsvoll. »Wir haben den Feind in die Flucht geschlagen…«
»Kaum«, widersprach Sarah und blickte hinüber zu Kamal, dessen Stellung an die zwanzig Yards entfernt lag. An den Zügen des Tuareg konnte sie ablesen, was sie bereits vermutet hatte. Dass sich die Vermummten nur aus einem einzigen Grund zurückgezogen hatten – um zu vorgerückter Stunde im Schutz der Nacht noch einmal anzugreifen…
Die Zeit verstrich quälend langsam.
Seit dem überraschenden Rückzug der Vermummten waren erst zwei Stunden vergangen. Seither hatten sich die Angreifer nicht mehr blicken lassen, und natürlich stellten Sarah und ihre Gefährten sich die Frage, was der Feind damit bezweckte.
Wollte man ihnen Furcht einjagen? Rechnete man damit, dass sie die Waffen streckten, wenn sie nur lange genug über ihre Zukunft im Ungewissen gelassen wurden? Dass sie versuchen würden, die Flucht zu ergreifen und so zu leichter Beute wurden?
Nicht, dass es einen Unterschied bedeutet hätte; wenn es erneut zum Kampf kam, würde es nicht mehr um das Überleben gehen, sondern nur noch darum, den Preis des eigenen Todes möglichst hoch anzusetzen. Zu diesem Zweck hatten Haydens Husaren und Kamals Tuareg sich zusammengeschlossen; im Kampf gegen einen gemeinsamen Gegner waren aus Rivalen Verbündete geworden.
In der Mitte des Lagers, dort, wo sich einst Kamals Zelt befunden hatte, hatten sich die Überlebenden zusammengerottet und eine große Stellung gebildet. Von den Husaren waren noch sechs Mann am Leben, davon zwei so schwer verletzt, dass sie kein Gewehr mehr halten konnten. Hayden hatte das Bewusstsein noch nicht wiedererlangt, aber es war Sir Jeffrey gelungen, die Blutung an seinem Arm zumindest vorläufig zu stoppen. Der königliche Berater selbst war weitgehend unverletzt geblieben, ebenso wie Milton Fox, den nur ein Querschläger gestreift hatte. Acht Tuareg hatten den Kampf gegen die vermummten Räuber mit dem Leben bezahlt. Sieben Wüstenkrieger waren noch am Leben, dazu acht Frauen und zehn Kinder. Ihre Lage war verzweifelt, zumal der Gegner gezeigt hatte, dass er keine Gnade kannte. Es war überaus wahrscheinlich, dass keiner von ihnen den Morgen erlebte; noch vor Anbruch des neuen Tages würde der gesichtslose Feind erneut angreifen, und die Nacht würde in einem Blutbad enden…
»Vorschläge, Gentlemen?«, wandte sich Sarah an Kamal, Sir Jeffrey und Milton Fox, die zu einer kurzen Besprechung zusammengekommen waren. »Besonders dankbar wäre ich für eine Idee, die uns den Hals rettet. Ich bezweifle allerdings, dass es sie gibt.«
»Ich denke aber doch, dass es noch eine bessere Möglichkeit gibt, als uns von diesen Vermummten abschlachten zu lassen«, wandte Milton Fox ein.
»Tatsächlich?« Sarah schaute ihn fragend an. »Ich höre, Inspector.«
»Nun, ich stimme dafür, unseren Gegnern ein Verhandlungsangebot zu unterbreiten. Wenn wir kapitulieren und es uns gelingt, Bedingungen für einen Waffenstillstand auszuhandeln…«
»Bedingungen?« Kamal lachte freudlos auf. »Wissen Sie, wie die Bedingungen einer Kapitulation in der Wüste aussehen?«
»Nun, äh, nein.«
»Dann will ich es Ihnen sagen: Die am meisten Glück haben werden erschossen. Und auch jene, die man ohne einen Schluck Wasser in die Wüste jagt, wo sie elend zugrunde gehen, können noch von Glück reden.«
»Und die, die weniger glücklich dran sind?«, erkundigte sich Sir Jeffrey zögernd.
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