Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Schatten von Thot

Der Schatten von Thot

Titel: Der Schatten von Thot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
Vom Netzwerk:
vrai. Ich behaupte auch nicht, dass uns der Herzog willentlich belogen hat. Wahrscheinlich hält er das, was er uns da erzählt hat, tatsächlich für die Wahrheit – aber ich habe den Eindruck, dass er nicht mehr Herr seiner Sinne ist. Oder willst du mir erzählen, du wärst aus seinem Gerede klug geworden?«
    »Nicht ganz«, gab Sarah zu. »Aber es spricht einiges dafür, dass der Duke nicht nur Hirngespinste von sich gegeben hat. Immerhin hat er die ägyptischen Gottheiten korrekt ihren Tierzeichen zugeordnet.«
    »Et quoi? Was heißt das schon? Er ist der Vorsitzende der Ägyptischen Liga, oder nicht?«
    »Richtig. Aber er sprach auch vom Buch der Geheimnisse – und das ist für jemanden, der sich nur am Rande mit Ägyptologie befasst, äußerst ungewöhnlich.«
    »Das Buch der Geheimnisse?«
    »Auch genannt das Buch von Thot«, bestätigte Sarah.
    »Thot – da ist schon wieder dieser Name. Ist es nicht auch die Gottheit, deren Zeichen der Mörder am Tatort zurückzulassen pflegt?«
    »Allerdings.«
    »Was hat es damit auf sich?«
    Sarah unterbrach ihre Suche erneut. »Das Pantheon der alten Ägypter«, erklärte sie, »umfasste eine Vielzahl verschiedenster Gottheiten, die oft nur lokale Bedeutung hatten. Schon während der Periode des Alten Reiches kam es jedoch durch Handel und Verkehr zum regen Austausch zwischen den Städten, sodass einige Götter der Frühzeit von anderen verdrängt wurden oder mit diesen zu neuen Gottheiten verschmolzen. Eine dieser neuen Gottheiten war Thot, und die Eigenschaften, die ihm zugeschrieben wurden, sind entsprechend vielfältig. Thot galt als Herr des Mondes und damit auch des Kalenders und der Zeit, und seiner vielfältigen Herkunft gemäß wurde er in Gestalt verschiedener Tiere, nämlich des Ibis und des Affen, verehrt. Manche alte Quellen beschreiben ihn auch als Gegenstück zum Sonnengott Re, und einer Inschrift in Heliopolis zufolge, gab es sogar eine Kultbewegung, die Thot nicht nur als Komplementär, sondern als Feind des Sonnengottes betrachtete und zugleich all dessen, wofür Re von den Ägyptern verehrt wurde: das Licht, das Leben, die Schöpfung. Wie es heißt, soll er sich zusammen mit anderen Göttern – namentlich genannt sind der schakalköpfige Totengott Anubis, der krokodilsgesichtige Suchos und der Schlangendämon Apophis – verschworen haben, um Re das Geheimnis von Licht und Feuer zu rauben.«
    »Un moment«, wandte du Gard ein, »sind das nicht genau die Götter, von denen der Herzog sprach?«
    »Allerdings«, bestätigte Sarah, »und die Stadt Heliopolis, in der die Inschrift gefunden wurde, ist das altägyptische Junu, aus dem auch die Nadel der Kleopatra stammt.«
    »Viele Zufälle.«
    »In der Tat.« Sarah nickte. »Und weil ich bezweifle, dass es so viele Zufälle gibt, nehme ich an, dass mehr hinter dieser Sache steckt als das bloße Gefasel eines Mannes, dessen Verstand auf den Schwingen des Drachen entschwunden ist.«
    »Und was sollte das sein, ma chère?«
    »Hast du dich schon einmal mit dem Gedanken befasst, dass der Herzog die Wahrheit sagen könnte? Dass alles tatsächlich so geschehen ist, wie er es beschrieben hat?«
    Du Gard lächelte müde. »Du meinst, er ist drei ägyptischen Göttern begegnet?«
    »Zumindest glaubte er das«, räumte Sarah ein. »In Wirklichkeit könnte man ihn auch mit Laudanum betäubt haben, und die angeblichen Götter könnten drei Männer gewesen sein, die sich mit Tiermasken verkleidet haben. Dazu ein wenig Kerzenlicht und Rauch aus dem Panoptikum, und fertig ist die Täuschung. Du wirst zugeben müssen, dass der Herzog derart maskierte Männer im entsprechenden Zustand durchaus für Götter hätte halten können.«
    »Absolument«, bestätigte du Gard trocken. »Ich erinnere mich mit Unbehagen an jenen Tag, an dem ich die Comtesse de Frontenac für die grüne Fee aus dem Absinth hielt. Aber weshalb sollte jemand dem königlichen Erben so etwas antun? Nur, um seinen Ruf zu beschädigen?«
    »Sicher nicht. Wenn es darum ginge, brauchte man nur seine Medikamentenabhängigkeit publik zu machen – die öffentliche Meinung würde einen nach Opiaten süchtigen Thronfolger nicht tolerieren. Wer immer hinter diesen Dingen steckt, ist über den Gesundheitszustand des Dukes gut unterrichtet, scheint jedoch andere Ziele zu verfolgen.«
    »Schön. Und welche?«
    Sarah hielt du Gards forschendem Blick einen Augenblick lang stand, dann wandte sie sich wieder den Büchern zu und setzte ihre Suche fort. »Dubary, Dull,

Weitere Kostenlose Bücher