Der Schatten von Thot
Nein! Neeein!«
Die letzten Worte schrie der Duke of Clarence in heller Panik. Gleichzeitig riss er sich von Sarah los und begann, wild mit den Armen zu rudern. Seine Gesichtszüge waren von nackter Angst gezeichnet. Sein Atem ging stoßweise und keuchend.
»Merde!«, rief du Gard und sprang auf. »Expergitur!« Das war das Wort, das den hypnotischen Bann brechen sollte – und tatsächlich schlug der königliche Erbe im nächsten Moment die Augen auf.
Von einem Augenblick zum anderen verstummte der Herzog und hielt in seinen Bewegungen inne. Orientierungslos blickte er sich um und schien einige Sekunden lang weder zu wissen, wo er sich befand, noch wer die Menschen in seiner Gesellschaft waren. Sein Blick fiel auf die Artefakte, und er zuckte ängstlich zusammen, als er den Obelisken in der Ecke des Empfangszimmers sah.
»Alles in Ordnung, Hoheit?«, erkundigte sich Sarah besorgt.
Der Herzog warf ihr einen verunsicherten Blick zu, aber dann klärte sich sein Gesichtsausdruck, und die Erinnerung schien zu ihm zurückzukehren – zumindest an jene Dinge, die vor der Hypnose gewesen waren. Alles andere schien ihm entfallen zu sein…
»Was ist geschehen?«, fragte er.
»Nichts«, entgegnete Sarah schlicht.
»Sind Sie sicher? Ich habe das Gefühl, für einen Augenblick eingeschlafen zu sein…«
»Dann brauchen Sie sich erst recht keine Sorgen zu machen, Hoheit«, erwiderte Sarah und lächelte. »Wer schläft, sündigt nicht, heißt es.«
»So sagt man.« Der Thronerbe nickte. »Und dennoch… erfüllt mich ein seltsames Gefühl. Was ist passiert? Sind Sie der Wahrheit einen Schritt näher gekommen?«
»Ich denke schon, Hoheit.« Sarah nickte.
»Und?« Der Duke blickte sie fast flehend an. »Bin ich ein Mörder? Bitte, Lady Kincaid, sagen Sie es mir…«
»Seien Sie unbesorgt, Hoheit. Nach allem, was wir erfahren haben, trifft Sie keine Schuld.«
»N-nein?«
»Nein. Es gibt nichts, worüber Sie sich sorgen müssten.«
»Aber warum spüre ich dann diese Furcht?«, fragte der Herzog, und seine Augen zuckten dabei unruhig in ihren Höhlen. »Warum habe ich ständig den Eindruck, dass etwas Schreckliches vor sich geht? Dass ein dunkles Schicksal dabei ist, sich zu erfüllen? Warum finde ich nur dann etwas Ruhe, wenn ich meine Medizin zu mir nehme?«
»Das weiß ich nicht«, entgegnete Sarah rasch, »und Sie täten gut daran, Hoheit, auch nicht länger darüber nachzudenken. An den Morden in Whitechapel jedenfalls trifft Sie keine Schuld.«
»Ganz sicher nicht?«
»Sicher nicht.« Sarah schüttelte den Kopf. »Allerdings…«
»Was?«, verlangte der Herzog zu wissen.
»Allerdings gibt es gewisse Verdachtsmomente, die ich gerne überprüfen würde, und dazu brauche ich Zugang zur Bibliothek des British Museum. Da ich als Wissenschaftlerin jedoch nicht anerkannt bin, würde ein herzogliches Empfehlungsschreiben…«
»Natürlich«, versicherte der Herzog und stand kurz entschlossen auf, noch ehe Sarah oder du Gard ihn daran hindern konnten. Den königlichen Enkel auf dünnen, zitternden Beinen zum Sekretär staksen zu sehen, war ein eigentümlicher Anblick. Keuchend ließ sich der junge Herzog auf dem samtbezogenen Stuhl nieder, tauchte mit bebender Hand die Feder in das Tintenfass und kritzelte einige Zeilen auf ein Blatt Papier. Anschließend blies er mit dem Mund auf das Geschriebene, bis es trocken war. Dann faltete er das Schreiben und reichte es Sarah.
»Dies ist eine Empfehlung des Präsidenten der Ägyptischen Liga«, sagte er dazu. »Sie gewährt Ihnen Zutritt zu allen Bereichen der Bibliothek, Lady Kincaid. Finden Sie den Mörder und beenden Sie dieses grausame Spiel, ehe es noch mehr Unschuldige das Leben kostet.«
»Ich werde mein Bestes versuchen«, erwiderte Sarah und nahm das Schreiben entgegen.
»Gehen Sie jetzt«, verlangte der Duke, »und schicken Sie meinen Diener wieder herein. Ich bin müde und muss ruhen. Und ich brauche meine Medizin.«
»Gewiss, Hoheit.« Sarah und du Gard verbeugten sich und wandten sich zum Gehen.
»Werden Sie mir irgendwann sagen, was ich Ihnen verraten habe?«, rief der Duke ihnen nach.
Sarah wandte sich um, über ihre Züge glitt ein rätselhaftes Lächeln. »Irgendwann«, antwortete sie.
»Und Sie werden es niemandem sonst verraten? Was Sie und Mister du Gard gehört haben, muss innerhalb dieser vier Wände bleiben, das ist Ihnen doch klar?«
»Seien Sie unbesorgt, Hoheit.«
»Versprechen Sie es?«
»Sie haben mein Wort darauf«, versicherte Sarah
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