Der Schatten von Thot
begreifen.«
Sir Jeffrey schmunzelte, während Mortimer Laydon verlegen mit den Augen rollte. Sarah übersah es geflissentlich.
»Haben die Gentlemen schon einmal vom Buch des Thot gehört?«, erkundigte sie sich stattdessen.
»Das Buch des Thot?« Devine schüttelte den Kopf. »Nicht, dass ich wüsste.«
»Aber ich«, wandte Dr. Laydon ein. »Das Buch von Thot soll eine antike Schriftrolle gewesen sein, auf der der Sage nach das Wissen der Alten Welt verzeichnet war. Ich erinnere mich, bei der Ägyptischen Liga einen Vortrag darüber gehört zu haben, allerdings schon vor einigen Jahren, sodass ich mich nicht mehr an Einzelheiten erinnern kann.«
»Dein Gedächtnis lässt dich nicht im Stich, Onkel Mortimer«, erkannte Sarah lächelnd an. »Das Buch von Thot, auch Buch der Geheimnisse genannt, soll tatsächlich geheimes Wissen enthalten haben – unter anderem über eine Energiequelle von unvorstellbaren Ausmaßen, die Feuer des Re genannt wird und die sowohl zum Guten als auch zum Bösen eingesetzt werden kann.«
»Eine hübsche Geschichte, Lady Kincaid«, meinte Devine nickend, »aber offen gestanden verstehe ich nicht, in welchem Zusammenhang sie zu den Mordfällen im East End stehen soll.«
»Das will ich Ihnen gerne erklären«, entgegnete Sarah und blickte in die Runde der gespannten Gesichter. »Im alten Ägypten gab es einen Kult, der sich der Verehrung des Gottes Thot verschrieben hatte und das Buch der Geheimnisse hütete, bis es um das Jahr 950 vor Christi Geburt im Zuge innerer Unruhen des Reiches verloren ging. Seither haben Menschen immer wieder versucht, das Buch zu finden und in seinen Besitz zu gelangen, Herrscher wie Alexander der Große und Julius Cäsar haben davon geträumt, das Feuer des Re zu besitzen. Zuletzt soll Napoleon versucht haben, sich das Geheimnis anzueignen – vielleicht war die Suche nach dem Buch des Thot sogar der wahre Grund für seine Expedition nach Ägypten.«
»Also wissen Sie.« Devine schüttelte den Kopf. »Bei allem gebührenden Respekt, Mylady – übertreiben Sie jetzt nicht ein wenig?«
»Ich denke nicht. Die Aussicht, eine Kraftquelle von ungeahnten Ausmaßen zu besitzen, die als Waffe gegen den Feind eingesetzt werden kann, hat Feldherren und Heerführer zu allen Zeiten fasziniert, und bis heute hat sich nichts daran geändert. Angenommen, es gäbe das Buch des Thot wirklich, und nehmen wir weiter an, es würde jenes furchtbare Geheimnis bergen – wer würde nicht davon träumen, es in seinen Besitz zu bringen?«
»Bei Saint Edwards Gebeinen«, flüsterte Dr. Laydon, »du hast Recht…«
»Gut«, meinte der Commander, der noch immer skeptisch war. »Spielen wir den Gedanken also durch und nehmen an, dieses ominöse Buch existiert tatsächlich – was sagt uns das über den Mörder von Whitechapel? Worin besteht der Zusammenhang?«
»Ich werde es Ihnen zeigen«, versprach Sarah und trat an den Londoner Stadtplan, der an der Wand hing und auf dem die Tatorte der Prostituierten-Morde verzeichnet waren, inzwischen vier an der Zahl.
»Lassen Sie es gut sein, Lady Kincaid.« Fox winkte ab. »Wir haben die Tatorte mehrmals überprüft – es besteht nicht der geringste Zusammenhang. Weder lässt sich ein Muster feststellen, noch sind wir der Ansicht, dass…«
»Warten Sie es ab, Mister Fox«, fiel Sarah ihm freundlich, aber bestimmt ins Wort und fuhr mit ihren Ausführungen fort: »Wie Sie wissen, Gentlemen, fand der erste Mord hier in der Devenant Street statt, der zweite weiter südlich in der Hopetown Street. Schließlich schlug der Mörder hier in der Wentworth Street noch einmal zu, und zuletzt übte er sein blutiges Handwerk in der Tenter Street aus, nur einen Block von Mr. du Gards Wohnung entfernt.«
»Und?«, fragte Fox und reckte neugierig seine spitze Nase vor.
»Die Anfangsbuchstaben der Straßen, in denen die Morde verübt wurden, ergeben zusammengesetzt das Wort DHWT«, erklärte Sarah.
»Was soll das bedeuten?«
»Es ist die Abkürzung für das altägyptische Wort dehuti, Mister Fox«, erläuterte Sarah schlicht, »und dehuti wiederum ist der ägyptische Name der Gottheit Thot.«
Im Büro des Commanders war es plötzlich so still, dass man eine Stecknadel fallen gehört hätte. Für einen Moment hatte Sarah die Überraschung auf ihrer Seite, aber schon im nächsten Augenblick kehrte bei ihren Zuhörern die alte Skepsis zurück.
»Ich bin beeindruckt, in der Tat«, gestand Devine, »aber ich denke nicht, dass eine kriminalistische
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