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Der Schatten von Thot

Der Schatten von Thot

Titel: Der Schatten von Thot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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Kincaid.« Der Corporal und sein Untergebener senkten die Waffen und nahmen Haltung an. Kamal entblößte daraufhin seine blitzenden Zähne zu einem Grinsen, und Sarah ließ ihn eintreten. Zu Hause in England wäre es ein Fauxpas allererster Güte gewesen, einen Mann – noch dazu einen Muselmanen – die Kammer einer Dame betreten zu lassen. Hier jedoch, fernab von der britischen Heimat, galten andere Regeln. Und obwohl sie eigentlich hatte allein sein wollen, spürte Sarah plötzlich, dass Kamals Besuch ihr gar nicht ungelegen kam…
    »Was gibt es?«, erkundigte sie sich. »Möchtest du den Dienst quittieren, nach allem, was geschehen ist? Ich könnte es gut verstehen…«
    »Durchaus nicht, Lady Kincaid«, verneinte Kamal in seinem wortgewandten Englisch. »Ich bin auch weiterhin bereit, an der Reise ins Ungewisse teilzunehmen – wenn Sie es sind.«
    »Was willst du damit sagen?«
    »Damit will ich sagen, dass ich weiß, was in Ihnen vorgeht. Auch Kamal hat schon Freunde verloren, Menschen, die ihm viel bedeutet haben. Und auch er war nahe daran, alles aufzugeben.«
    »Wer sagt, dass ich aufgeben will?«
    »Ihre Augen«, erwiderte Kamal mit fast beleidigender Beiläufigkeit. »Sie sagen alles.«
    »Wirklich?« Entkräftet ließ Sarah sich erneut auf der Bettkante nieder. »Ist es denn so offensichtlich?«
    »Ich fürchte schon.« Kamal nickte. »Deshalb bin ich gekommen, um Sie auf andere Gedanken zu bringen. Darf ich Ihnen eine Geschichte erzählen?«
    »Tut mir leid, Kamal – mir ist nicht nach Geschichten zumute.«
    »Diese wird Sie aber doch interessieren«, meinte er voller Überzeugung. »Es ist eine Geschichte der Tuareg, die seit vielen Generationen an den Lagerfeuern erzählt wird. Sie handelt von Nefar, einem Kameltreiber, der einst auszog, um eine Oase zu finden, die grüner und blühender sein sollte als jede andere in der Wüste. Also folgte er den Hinweisen, die man ihm gab – aber so sehr er auch danach suchte, er fand die Oase nicht. Tausend Tage und tausend Nächte lang irrte er durch das Meer aus Sand, wie die Beduinen die Wüste nennen. Anfangs war das Wasser ausreichend für ihn und seine Kamele, aber als der Vorrat knapp wurde, da reichte es nur noch für ihn allein, und ein Kamel nach dem anderen blieb in der Wüste zurück. Schließlich war Nefar ganz allein; er hatte alles verloren, was er je besessen hatte, und nachdem er den letzten Tropfen Wasser getrunken hatte, blickte er dem sicheren Tod ins Auge.«
    »Was ist passiert?«, wollte Sarah wissen, der Kamals Geschichte tatsächlich ein wenig Ablenkung verschaffte.
    »Als Nefar schon fast verdurstet und nur noch wenig Leben in ihm war, fand ihn ein Kundschafter der Tuareg. Er nahm ihn mit in sein Zelt, gab ihm zu essen und zu trinken, und so wurde Nefar gesund und kam wieder zu Kräften. Eines Nachts hörte er, wie sich im Lager ein paar alte Tuareg miteinander unterhielten – über eine Oase, grüner und blühender als jede andere in der Wüste und nur einen Tagesritt entfernt. Was glauben Sie, Mylady, hat Nefar getan?«
    »Nun – er hat die Alten nach dem Weg gefragt, ist den Hinweisen gefolgt und hat die Oase gefunden.«
    »Falsch.« Kamal schüttelte den Kopf, sein Blick hatte etwas Beschwörendes. »Nefar hat nicht weiter nach der Oase gesucht, die ihn fast das Leben gekostet hätte. Er ist nach Hause in sein Dorf zurückgekehrt, gründete dort eine Familie und wurde ein alter, sehr alter Mann. Nur ein Narr sucht, was er nicht finden kann, Lady Kincaid. Der Weise gehorcht dem Schicksal.«
    »Willst du behaupten, ich wäre eine Närrin?«
    »Das habe ich nicht gesagt. Aber Allah hat Ihnen ein Zeichen gesandt, Mylady. Einer Ihrer Gefährten ist tot, und man braucht kein Gelehrter zu sein, um dieses Zeichen zu deuten. Warten Sie nicht, bis Sie Ihre gesamte Herde an die Wüste verloren haben, wie Nefar es tat. Kehren Sie um, solange noch Zeit dazu ist.«
    Sarah antwortete nicht sofort. Einerseits sträubte sich alles in ihr gegen Kamals Worte, andererseits hatte der junge Ägypter, dessen Weisheit weit jenseits seiner Jahre zu liegen schien, genau das ausgesprochen, was sie insgeheim dachte. Ein Teil von ihr war tatsächlich bereit aufzugeben, wollte nach Hause zurückkehren und alles hinter sich lassen, sich der Trauer und der Verzweiflung ergeben.
    Aber Sarah wusste aus Erfahrung, dass dieser Weg ins Nirgendwo führte; es war eine Reise ins Land der Selbstvergessenheit, wo nichts mehr zählte als der eigene Schmerz. Sie hatte

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