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Der Schatten von Thot

Der Schatten von Thot

Titel: Der Schatten von Thot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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dieses Tal schon einmal durchschritten und wollte es nicht wieder tun. Ihr Vater hätte das nicht gewollt, und du Gard ganz sicher auch nicht…
    »Du hast Recht, Kamal«, erwiderte Sarah schließlich. »Bisweilen ist es tatsächlich besser umzukehren, und ich gebe zu, dass ich mich mit dem Gedanken getragen habe. Aber es gibt einen Unterschied zwischen deiner Geschichte und unserer Situation.«
    »Nämlich?«
    »Es ist nicht die Gewalt der Natur, die Kesh und Maurice du Gard das Leben gekostet hat, sondern die der Menschen. Nicht die Wüste hat sie getötet, sondern vermummte Mörder, die nicht einmal Manns genug waren, ihre Gesichter zu zeigen. Es war kein Schicksalsschlag, der meine Freunde getroffen hat, Kamal. Sie wurden das Opfer menschlicher Gier – und dieser Gier gilt es Einhalt zu gebieten, ehe sie noch mehr Menschenleben kostet.«
    Kamals Blick war unmöglich zu deuten. »Das ist eben der Unterschied zwischen euch und uns«, sagte er leise.
    »Was meinst du?«
    »Die Kluft, die das Morgenland und das Abendland trennt, Lady Kincaid, besteht weder in unterschiedlichen Hautfarben noch in verschiedenen Religionen. Es ist die Art, wie wir leben, die uns unterscheidet. Im Orient pflegen wir auf das Schicksal zu hören und uns ihm gegebenenfalls zu fügen – im Okzident hingegen pflegt man so zu tun, als gäbe es das Schicksal nicht und alles wäre eine Frage des menschlichen Willens. Fügen Sie sich dem Schicksal, Lady Kincaid, ich beschwöre Sie, oder alles wird nur noch schlimmer werden.«
    »Ich kann nicht, Kamal«, antwortete Sarah, die die Verzweiflung in den Augen des Ägypters sehen konnte. »Ich muss zu Ende bringen, was ich begonnen habe, schon um meines Onkels willen, der von unseren Feinden entführt wurde und den ich zu befreien hoffe. Aber es steht dir frei, die Expedition zu verlassen. Niemand wird dich deswegen…«
    »Kamal wird bleiben«, stellte der Ägypter klar. »Er wird dabei sein, wenn noch mehr Blut und Verderben über Sarah Kincaid und die Ihren kommen. Gute Nacht, Mylady.«
    Damit machte er auf dem Absatz kehrt und verließ die Kabine. Der Zorn in seinen Worten war unüberhörbar gewesen, und tief in ihrem Inneren hatte Sarah das Gefühl, einen Fehler zu begehen. Dennoch – sie konnte nicht mehr zurück. Schon so viele Opfer waren gebracht worden, sollten sie alle vergeblich gewesen sein?
    »Nein«, sagte sie leise und trat vor den großen ledernen Koffer, der ihre Reiseutensilien enthielt. Sie öffnete ihn, griff hinein und beförderte ein ledernes Holster zutage. Bedächtig zog sie den schweren Revolver hervor, der darin steckte und einst ihrem Vater gehört hatte: ein Colt des Typs 1878 Frontier, dessen geschwungener Perlmuttgriff perfekt in ihre Hand zu passen schien. Mit geübtem Griff klappte Sarah die Trommel aus und begann, sie mit Patronen zu laden.
    Bislang hatten sie der Gegenseite die Initiative überlassen, hatten stets nur reagiert und sich die Regeln des Spiels diktieren lassen. Nun war es Zeit, die Spielregeln zu ändern.
    Sarah Kincaid war dazu bereit.

 
    6
     
     
     
    E XPEDITIONSBERICHT
    25. D EZEMBER 1883
     
    Kurz nach Sonnenaufgang haben wir die Egypt Star verlassen. Unter dem Schutz von Captain Haydens Eskorte y die in Minieh auf uns gewartet hat, sind wir nach Tehna el-Gebel aufgebrochen, einer kleinen Stadt, die an der Grenze zur Wüste liegt und die in der Antike als Dehenet bekannt war. In der örtlichen Karawanserei sollen die Kamele und Träger bereitstehen, die wir bestellt haben, dazu einige erfahrene Gräber, die schon früher für Projekte der Ägyptischen Liga gearbeitet haben.
    Die Stimmung ist gedrückt; Captain Hayden versteckt sich hinter seinen Pflichten als Offizier, Sir Jeffrey und Milton Fox haben den Morgen über kaum ein Wort verloren. Niemand kann sich vorstellen, dass zu Hause im fernen England Weihnachten gefeiert wird, während wir den Verlust eines Gefährten und Freundes zu betrauern haben.
    Noch am Morgen haben wir du Gard beigesetzt. Seinen sterblichen Leib in fremder Erde zurückzulassen, hat mich Überwindung gekostet. Aber natürlich weiß ich, dass wir keine andere Wahl hatten. Mehr denn je bin ich entschlossen, das Geheimnis, das sich um das Buch des Thot rankt, zu enträtseln. Nun erst recht – auch wenn Kamal, unser einheimischer Führer, anderer Ansicht ist und lieber umkehren würde.
    War es Schicksal oder eigener Wille, der uns hierhergeführt hat? Ich weiß es nicht mehr. Die Dinge scheinen mir unklar und

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