Der Schattenbund 01 - Das Herz von Myrial
…«
Cergorn kniff die Lippen zusammen, und Elion sah, dass er zu weit gegangen war. Er hielt den Atem an und trat einen Schritt zurück.
»Erinnerst du dich an die Zeit, als du noch einer von den rotznasigen Dorfrangen warst?«, fragte der Archimandrit mit sanfter Stimme. »Du warst ein unerträglicher Plagegeist, der mich den ganzen Tag verfolgte und nörgelte, quälte, anflehte, ich möge dich zu einem Mitglied des Schattenbundes machen. Weißt du noch, was ich dir darauf geantwortet habe?«
Elion nickte, und innerlich wand er sich vor Peinlichkeit. »Du sagtest, dass dies nicht in deiner Macht stünde, sondern dass ich mir die Mitgliedschaft verdienen müsse.«
Cergorn nickte. »Das stimmt. Und schließlich hast du sie dir verdient. Das aber bringt auch – wie du wissen dürftest, sofern du mir all die Jahre einmal zugehört hast – die Ehre und die Entbehrungen und die Trauer mit sich. Früher oder später verliert jeder von uns Freunde, Kameraden, Partner. Wir lernen, damit zurecht zu kommen, so gut es geht. Wir trauern um sie, und wir ehren sie, und wir vergessen sie niemals – aber wir lassen nicht zu, dass sie unser Leben beherrschen. Das dürfen wir nicht, Elion. Das können wir nicht tun. Wie könnten wir sonst vernünftig bleiben? Also müssen wir unser Leben und unsere Arbeit weiterführen, damit am Ende ihr Andenken etwas zählt.«
Er setzte einen Atemzug lang aus, doch wandte er nicht den Blick von Elions Gesicht.
»Und weil ich all das bedenke, schicke ich dich auf eine neue Mission, Elion. Heute noch. Jetzt. Wie schnell kannst du bereit stehen?«
Eiskalt kroch es Elion den Rücken hinunter. »Aber das kannst du nicht tun! Ich war verwundet – ich bin zu solchen Aufgaben noch nicht fähig! Ich habe keinen Partner mehr – du kannst mich nicht allein aussenden!« Schützend umfasste er die Finger seiner rechten Hand, wo die Brüche gerade erst verheilt waren. Und während er protestierte, entfernte er sich Schritt für Schritt von Cergorn und distanzierte sich unbewusst von dessen Befehl. Plötzlich bröckelte ihm die Böschung unter den Fersen weg; er war zu nah ans Wasser geraten.
Der Griff eines starken Arms zog ihn zurück aufs sichere Ufer, und Elion fand sich Auge in Auge mit dem unerbittlichen Zentauren wieder. »Jetzt hör mir mal genau zu«, begann der Archimandrit barsch. »Unter normalen Umständen würde ich dich nirgendwohin schicken, schon gar nicht allein auf eine Mission, die so viele Gefahren birgt wie diese. Aber es ist nun einmal so, dass die Welt ringsum zusammenbricht, und alle anderen menschlichen Agenten stecken bereits anderswo bis über die Ohren in Schwierigkeiten. Kazairl und Veldan, die mit dem Seher des Drachenvolkes unterwegs sind, befinden sich in ernsthafter Gefahr.«
Elion gefror das Blut in den Adern. »Cergorn, nein! Mit ihnen kann ich nicht arbeiten! Nicht nach allem, was bei den Ak’Zahar passiert ist!«
Der Archimandrit schnitt ihm rücksichtslos das Wort ab. »Ich bedaure, aber du bist der Einzige, den ich noch aussenden kann. Außerdem wird es höchste Zeit, dass die Zwistigkeiten zwischen dir und Veldan ein für alle Mal der Vergangenheit angehören. Ich habe schon lange genug zugesehen wie ihr euch aufführt, als wäret ihr störrische Esel. Nun also, du wirst dich freuen zu hören, dass du nicht allein aufbrechen wirst.«
In Elions Elend strahlte ein Funken Hoffnung. »Dem Himmel sei Dank! Aber wen …?«
»Du darfst dich geehrt fühlen. Eine der Altgedienten hat sich freiwillig bereit erklärt, dich zu begleiten.« Cergorn lächelte wehmütig. »Wirklich, ich konnte es ihr nicht ausreden – und glaub ja nicht, ich hätte es nicht versucht. Ich werde hier nicht gerade glücklich sein ohne meine Partnerin, aber sie schien das Gefühl zu haben, dass ihr Jungen jemanden braucht, der ein Auge auf euch hat.«
Elion schnappte nach Luft. »Was? Du meinst Thirishri? Aber, Archimandrit …«
Cergorn hob eine Hand. »Was immer du nun zu sagen beabsichtigst, das solltest du ihr sagen, nicht mir – aber hoffe nicht, dass du Erfolg hast. Ich habe immer versucht, aus einer Auseinandersetzung mit ihr als Sieger hervorzugehen, und das seit über hundert Jahren. Mir ist es noch nicht gelungen.« Er klopfte Elion auf die Schulter. »Du und Veldan, ihr schuldet einander mehr, als euch bewusst ist, mein Freund. Es ist deine Pflicht, ihr nun zu helfen. Tu einfach dein Bestes – und lass uns trotz allem die Hoffnung nicht aufgeben, dass es noch nicht zu spät
Weitere Kostenlose Bücher