Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Schattenbund 01 - Das Herz von Myrial

Der Schattenbund 01 - Das Herz von Myrial

Titel: Der Schattenbund 01 - Das Herz von Myrial Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Furey
Vom Netzwerk:
ihrer Tochter ernstlich, kletterte vom Wagen und watete durch den Morast zu ihrem Lebensgefährten. Ihr schulterlanges Haar hatte die warme goldbraune Farbe von dunklem Honig, doch jetzt steckte es unter ihrer Kapuze, und was herauslugte, war triefnass. Sie spähte auf den überfluteten Weg und sah beunruhigt zum Himmel, von dem das trübe Licht des frühen Abends fiel. »Was meinst du?« fragte sie. »Es dauert höchstens noch zwei Stunden, bis es dunkel wird. Willst du hier ausspannen und am Morgen versuchen, hindurchzukommen, oder sollen wir es jetzt riskieren und dann weiter unten rasten, falls sich die Lage hier über Nacht verschlechtert?« Sie schmiegte sich in Tormons Arm und blickte zu ihm hoch. Ihrem sommersprossigen, spitzen Gesicht und ihren braunen Augen waren die Sorgen der vergangenen Monate anzumerken.
    Wegen ihrer kindlichen Statur verspürte Tormon stets den Drang, sie zu umsorgen und zu beschützen. Wider besseres Wissen, denn Kanella war muskulös, zäh und ausdauernd. Hinter ihrem hübschen, lausbübischen Gesicht arbeitete ein flinker Verstand, und an Intuition und Klugheit war sie ihrem Lebensalter voraus. So bildeten sie ein gutes Gespann, respektierten einander und zehrten von den jeweiligen Stärken des anderen. Tormons Verhandlungsgeschick und seine Reiseerfahrung aus vier Jahrzehnten Wanderschaft ergänzten sich mit Kanellas Scharfsinn und Verständigkeit und ihren besonderen Fähigkeiten im Umgang mit Pferden.
    Tormon zog sie an sich. »Das wollte ich dich auch gerade fragen. Sollen wir es wirklich riskieren? Glaubst du, die Pferde könnten es da hindurch schaffen? Ich kann den Wagen nicht aufgeben, aber ich will auch nicht, dass deinen Kleinen etwas zustößt.«
    Kanella drehte sich zu ihren ›Kleinen‹ um: zwei mächtigen schwarzen Zugpferden, beide über achtzehn Handbreiten hoch. Ihr Vater war ein bekannter Züchter der Sefrianischen Mondscheinrasse, die ihren Namen vom silbernen Glanz im schwarzen Fell hatte. Er hatte ihr den Hengst Rutska und den Wallach Avrio als Mitgift geschenkt, dazu eine schwarze Stute, die jetzt von Rutska trächtig war und sich daher auf dem elterlichen Hof befand.
    »Ich bin darüber noch im Zweifel«, sagte Kanella. »Wahrscheinlich würde es gut gehen, aber wenn einer von ihnen fiele, könnten wir ihm unter diesen Umständen kaum wieder aufhelfen.«
    »Ich könnte bis zur nächsten Biegung waten und nachsehen, wie der Weg dort ist«, schlug Tormon vor.
    Aber Kanella schüttelte den Kopf. »Du kämst gegen diese Strömung nicht an. Lass mich nachdenken …«, bat sie stirnrunzelnd. Tormon kannte diesen Gesichtsausdruck. Sie überdachte ein Problem und erwog alle Möglichkeiten. Er wartete geduldig.
    »Ich hab’s!« Kanellas Stirn glättete sich. »Nimm Esmeralda. Sie hat den sichersten Tritt und ist stark genug, um dich gegebenenfalls wieder hochzuziehen.«
    Bei aller Sorge musste Tormon doch lachen. »Der Zwerg muss wieder herhalten!«
    Kanella knuffte ihn mit gespieltem Grimm. »Ein Zwerg in der Tat! Sie ist zwar klein, aber sie verdient ihr Futter.« Sie verschwand hinter dem Wagen und kehrte kurz darauf mit einer patschnassen, schlecht gelaunten Eselin zurück.
    Die Eselin Esmeralda war ein hart arbeitendes Mitglied der Familie. Während des Sommers diente sie bei den Streifzügen durch die unzugänglicheren Gegenden des Südens, wo die Wege für Wagen nicht mehr geeignet waren, als Lasttier. Wenn sie ein Lager aufgeschlagen hatten, gingen sie mit der Eselin Holz sammeln und Wasser holen. Am Jahresende, wenn sie die meisten Waren zu transportieren hatten, zog das Tier einen zweirädrigen Karren und teilte auf dem beschwerlichen Weg über das Gebirge die Last mit den Pferden.
    Tormon und Kanella besaßen den Esel seit ihrer ersten gemeinsamen Reise, nachdem sie ein Paar geworden waren. In jenem Sommer waren sie unterwegs einem Bauern begegnet, der auf sein Tier einschlug, das ausgemergelt und augenscheinlich unter der übergroßen Last zusammengebrochen war. Kanella stieß ein Wort hervor, mit dem sie ihren neuen Partner wahrhaftig schockierte, kletterte unter wütenden Zurufen vom Wagen, riss dem erstaunten Bauern den Stock aus der Hand und schickte sich an, ihm seine eigene Medizin zu schmecken zu geben. In ihrem Zorn hatte sie das ungünstige Kräfteverhältnis nicht bedacht, und die Sache wäre wahrscheinlich schlecht ausgegangen, wenn Tormon nicht dabei gewesen wäre. Der Unmensch von einem Bauern rannte schließlich fluchend davon, und Kanella

Weitere Kostenlose Bücher