Der Schattenbund 01 - Das Herz von Myrial
benahm sich wie eine Bande ungezogene Kinder, aber kaum wie respektable, altgediente Wissenshüter. »Genug jetzt!«, donnerte er. »Wir wollen uns der vorliegenden Aufgabe zuwenden – sofern ihr in der Lage seid, das Zanken für kurze Zeit zu unterbrechen.«
Thirishri nahm den Faden wieder auf: *Wir wissen, dass die Alten unsere Vorfahren hierher gebracht haben, und das ist schon mehr oder weniger alles, was wir über sie und ihre bemerkenswerten Fähigkeiten wissen.*
»Eben jene Fähigkeiten zu kennen wäre von unschätzbarem Nutzen«, stellte Skreeva heraus. »Und überhaupt – wir wissen nicht einmal, wie sie ausgesehen haben! Sie schaffen diese Welt, dann lassen sie uns hier und verschwinden einfach spurlos. Generationen hat es gedauert, sich durch die Annalen der Völker zu graben – mitunter buchstäblich –, und was ist das Ergebnis? Diese Brosamen des Wissens!. Warum mussten sie weggehen und uns mit so wenigen Anhaltspunkten zurücklassen?«
»Wir haben herausgefunden, dass sie die Schleierwand schufen«, sagte der Gaeorn. »Doch was nützt uns das, wenn wir nicht wissen, wie ihnen das gelungen ist?«
*Da hast du recht, Maskulu*, pflichtete ihm die Zephyra bei. *Wenn wir nichts über die Schleierwand wissen, wie sollen wir dann herausfinden, warum sie jetzt versagt? Und vor allem, wie man sie wiederherstellt?*
»Und warum sie ausgerechnet zu unserer Zeit versagt, nachdem sie über Äonen hinweg unversehrt geblieben ist?«, fügte der Afanc anklagend hinzu und klang ein wenig schrill. So als würde er den allmählichen Zerfall der Welt als eine persönliche Kränkung ansehen, dachte Cergorn. Er wollte gerade darauf antworten, als ein verzweifelter Schrei seine Gedanken auseinander fegte. Das telepathische Feld zwischen den Anwesenden zerfiel und baute sich sofort wieder auf. Man empfing ein jammervolles Weinen, das trostlosen Kummer, flehentliches Bitten und angstvolle Warnung zugleich ausdrückte. Den Wissenshütern schwirrte der Kopf. Von der Wucht des Schreis waren sie wie betäubt. Cergorn handelte instinktiv. »Verfolgen!«, bellte er laut und in Gedanken. »Identität! Position!«
Der Eindruck einer dämmrigen Gebirgslandschaft drang in ihre Gedanken, dann war ein steiler Pfad zu sehen, auf dem Felsbrocken heranstürzten – man fühlte die Panik, die Schmerzen. Und plötzlich war das telepathische Feld wieder frei. Die Sendung war vorüber.
»Zur Hölle!«, schimpfte Cergorn. »Pocken, Pest und Parasiten! Also gut, alle Mann – die Köpfe zusammengesteckt! Lasst sehen, was wir auffangen konnten!«
Nur ein breites Schilfgebiet trennte den unteren See, wo der Rat der Wissenshüter tagte, vom oberen See, und doch hätte dieser in einer anderen Welt liegen können, so verschieden war dort die Stimmung der Landschaft. Eine Sage erzählte, dass der obere See vor langer Zeit verwünscht worden sei, und die wilde, düstere Umgebung schien der Legende Recht zu geben. Das trübe, bleigraue Gewässer lag in einem felsigen Ödland, wo dunkle, immergrüne Pflanzen und Flechten wuchsen. Wenn die Sonne in das untere Tal schien, blieb der obere See wolkenverhangen, als hülle er sich in Trauer. Kein Lebewesen strich am Ufer entlang, kein Vogel sang, um die brütende Stille zu durchbrechen. Dieser einsame, freudlose Flecken blieb einer einzigen Gestalt vorbehalten: einem dunkelhaarigen, bartlosen jungen Mann, der zusammengesunken auf einem moosbewachsenen Stein am Ufer saß.
Die bedrückende Stille war die vollkommene Umgebung für Elions Seelenzustand. Er blickte in die Ferne, ohne etwas zu sehen, und gab sich seinen traurigen Erinnerungen hin. Er dachte an Melnyth, die bei allen Missionen seine Partnerin gewesen war. Er sah ihr lachendes Gesicht und ihr rotes Haar, das wie ein Banner im Wind wehte, beobachtete sie wieder in der Taverne eines namenlosen Hafens, wie sie die Schlägerei einer Horde Matrosen beendete, indem sie den kostbaren Schnapsbestand des entsetzten Wirtes mitten ins Getümmel warf. Er sah Melnyth, die Bogenschützin, wie sie in gespannter Konzentration einen noch weit entfernten Feind vom galoppierenden Pferd schoss – Melnyth, die kämpfende Furie, wie sie mit dem blanken Schwert die Feinde niedermähte, wie der Schnitter das reife Korn.
Und Melnyth, seine um Jahrzehnte ältere Mentorin, Führerin und Freundin, die mit angezogenen Knien am mitternächtlichen Lagerfeuer saß, wo ihr Haar heller leuchtete als der Feuerschein, während ihr der Überdruss und die Traurigkeit
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