Der Schattenbund 03 - Das Auge der Unendlichkeit
verfolgte, was sich hinter ihm entwickelte.
Zavahl übernahm den Befehl. »Bleib im Hintergrund, Scall. Du und Kalt solltet nicht auf euch aufmerksam machen – noch nicht.« Darauf schritt er in die Mitte des Raumes und stellte sich auf die leuchtende Steinplatte, sodass er von unten angestrahlt wurde. »Presvel?«, rief er. »Glaubst du an Geister?«
Presvel erschrak, fasste sich aber schnell. »Es gibt keine Geister«, sagte er, doch es klang wenig überzeugend.
»Du verlässt dich ja sehr darauf, dass du Recht hast«, erwiderte Zavahl. »Andernfalls würdest du es nicht darauf anlegen, deiner Reihe unschuldiger Opfer ein weiteres hinzuzufügen.«
Amaurn, der unterdessen an der Wand entlang schlich, hörte erschrocken das Kind aufjammern und sah nach oben. Doch scheinbar hielt Presvel die Kleine nur zu grob gepackt.
Gut. Er ist aus der Fassung gebracht.
Er erreichte die Wendeltreppe, die Tormons Ausgang gegenüberlag. Presvels Aufmerksamkeit galt dem Durchgang zu seiner Linken und der Gruppe am Boden unter ihm. Es war zu bezweifeln, dass er viel Zeit haben würde, um auf seine rechte Seite zu achten. Der Archimandrit begann, die Treppe hinaufzusteigen, langsam und verstohlen, als Kalt wie aufs Stichwort nach vorn trat. Er hatte auch die Kapuze seines schwarzen Umhangs aufgezogen und trug die gespenstische Knochenmaske. »Glaubst du wirklich, du kannst einen Überbringer so einfach töten und dann davonkommen? Kein Grab kann meinesgleichen halten.«
Amaurn überlief es eisig. Kalt hatte seine Stimme verändert und klang genau wie sein Lehrer. Presvel starrte voller Entsetzen auf die Erscheinung, als Grimms Stimme sich von Neuem erhob. Sie hatte den Klang unwiderstehlicher Macht. »Es ist Zeit, die Zeche zu begleichen, Presvel. Du kannst nicht entkommen. Setze das Kind ab und komm zu mir.«
Für einen Augenblick sah es so aus, als würde die List gelingen. Presvel zögerte, die Hand, die das Messer hielt, schwankte und senkte sich herab. Kalt tat noch einen Schritt vorwärts. »Setze das Kind ab, Presvel, und lass es los«, wiederholte er. »Vergrößere nicht deine Schuld.«
Amaurn war am Ende der Treppe angelangt. Er hob die Waffe. Doch solange Presvel das Kind festhielt, hatte er keine freie Schussbahn. Dann geschah es. Tormon riss die Geduld. Mit einem lauten Schrei stürzte er aus dem Gang hervor und rannte über den Steg. »Nein!«, heulte Presvel. »Keinen Schritt weiter!« Er hielt die Kleine in die Höhe und ließ sie, den Stoff ihres Kittels mit einer Hand gepackt, über den Abgrund baumeln. Mit der anderen Hand hielt er ihr erneut das Messer an den Hals.
Tormon, sterbensbleich, kam schlitternd zum Stehen. Im selben Augenblick schrie Zavahl zu Amaurn hinauf: »Schieß!«
Es gab kein Zögern. Der Wahnsinnige hielt das kleine Mädchen von sich gestreckt. Zavahl rannte bereits. Amaurn hatte freie Schussbahn. Er zielte und schoss.
Elion verfolgten die Erinnerungen schon, seit Vifang sich zum ersten Mal in das Lager der Ak’Zahar gewagt hatte. Als sie angegriffen wurde und er sie Lebewohl schreien hörte, stieg die Vergangenheit vor ihm auf und überwältigte ihn restlos. Einen Augenblick lang verschwand die Umgebung, verschmolz mit dem Bild, als Melnyth von den Horden der gierigen Bestien überfallen wurde, und er ohnmächtig zusehen musste. Er wurde von demselben Schrecken, derselben Hilflosigkeit befallen, derselben Verzweiflung, die ihn innerlich zerriss. Der Kreis schloss sich. Alles wiederholte sich …
Verdammt noch mal, nein! Nicht, wenn ich es verhindern kann!
Ohne Vorwarnung griff er nach Khers Feuerwerfer. Die anderen Wissenshüter waren vollkommen überrascht, und bis sie begriffen, was geschah, und die Sprache wiederfanden, hatte er die Esplanade schon halb überquert und rannte schneller, als er je in seinem Leben gerannt war. Beim letzten Mal hatte Veldan ihn aufgehalten. Diesmal würde er niemandem die Gelegenheit dazu geben. »Halte aus, Vifang! Ich komme!« Er schoss der Takur den Gedanken entgegen, er hatte nicht genügend Atem, um laut zu schreien.
»Nein! Zurück!«
Elion spürte, dass sie zu sehr bedrängt wurde, um noch mehr zu sagen. Kurz berührte er ihren Geist, und ein flüchtiges Bild voller Krallen und Zähne, Furcht und Schmerzen und unzähligen glühenden Augen blitzte in ihm auf. Auf keinen Fall würde er umkehren. Lieber kämpfend sterben, als noch einmal diese quälende Schuld zu durchleben. Er erreichte den Tunneleingang, und die Dunkelheit
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