Der Schattenbund 03 - Das Auge der Unendlichkeit
musst – um deinet- und um dieses kleinen Mädchens willen.« Tormon blickte in die gescheiten blauen Augen von Toulac; die früher die Sägemühle am Schlangenpass betrieben hatte, in glücklicheren Zeiten der letzte Rastplatz für seinen bunten Wagen, bevor er sich mit seiner Familie für den Winter in Tiarond niederließ. In seiner Benommenheit wunderte er sich, was sie hier zu suchen hatte. »Außerdem sind diese beiden Männer nicht mehr dieselben, die den Tod deiner Lebensgefährtin befohlen haben«, sagte sie und verwirrte ihn noch mehr. »Die Männer, die das taten, sind tot. Die zwei, die du siehst, scheinen dieselben zu sein, sind es aber nicht – sie haben Mitleid, Reue und Vernunft erlernt. Das macht ihre Taten nicht gerechter, und ich erwarte nicht, dass du ihnen jemals verzeihst – ich würde es an deiner Stelle wohl auch nicht tun – aber bitte, Tormon, das Töten soll jetzt ein Ende haben. Sie haben deine Frau getötet, aber deine Tochter gerettet. Wenigstens liegt darin ein gewisser Ausgleich.«
Ihre Worte entbehrten nicht gänzlich der Wahrheit, und ein Mann, der so grundlegend ehrlich und anständig war wie Tormon, konnte das kaum übersehen. Kurz schwankte er, hin und her gerissen zwischen Dankbarkeit und Hass. Dann sah er, wie Hauptmann Blank zu sprechen ansetzte und ihm mit einem so reuevollen, mitfühlenden Blick begegnete, wie er es bei einem Mann mit dem Ruf eines kaltblütigen Mörders nie erwartet hätte, und zugleich schoss ihm ein Gedanke durch den Kopf.
Wenn Blank auch nur ein Wort sagt – wenn er es wagt, um Verzeihung zu bitten, oder Gründe zu seiner Entschuldigung anführt oder seine Tat gar rechtfertigen will, dann werde ich dieses Messer gebrauchen, und alles endet in einem blutigen Albtraum, und das wird nicht nur mein Leben verändern, sondern auch die Zukunft meiner Tochter wird zunichte sein.
Er sprang auf, Annas noch an der anderen Hand haltend. »Schweig!«, schnauzte er. »Wage es nicht, zu mir zu sprechen – keiner von euch!« Voller Zorn blickte er zwischen Blank und Zavahl hin und her. »Was Toulac auch behaupten mag, ihr seid noch dieselben Ungeheuer, die eine unschuldige und wehrlose Frau umbrachten. So sehr ihr auch versucht, eure Taten der Vergangenheit vergessen zu machen, sie werden euch für den Rest eures Lebens anhaften. Unmöglich wird einer von euch je verstehen können, was ihr Annas und mir genommen habt, und ihr sollt wissen, dass ich euch bis ans Ende meiner Tage verachte und verabscheue …« Er holte tief Luft. »Aber ihr habt mein kleines Mädchen gerettet, und wie Meisterin Toulac sagt, das ist ein gewisser Ausgleich. Darum überlasse ich es dem Schicksal, euch die Strafe zuzumessen, die ihr verdient. Solange ich eure elenden Gesichter nicht mehr wiedersehen muss, belasse ich es dabei und versuche, mein Leben allein weiterzuführen.«
»Du brauchst nicht allein zu sein, Tormon.« Scall stand da, den Arm um Rochalla gelegt. »Wir kommen mit dir, wenn’s dir recht ist. Ich weiß, es wäre nicht dieselbe Familie, die du verloren hast, aber wir scheinen doch zueinander zu passen, und immerhin wärst du dann nicht mehr allein.«
Tormon schaute den Jungen – nein, den jungen Mann, verwundert an. Wie war Scall so schnell erwachsen geworden? Wo war er überhaupt gewesen? Was hatte er erlebt, dass er zu diesem Selbstvertrauen und dieser Reife gelangt war? Der Händler war hoch erfreut, dass sie sich ihm anschließen wollten. Er mochte sie beide, und Annas liebte Rochalla. Plötzlich war ihm, als fiele eine Last von seinen Schultern. Sogar Annas hatte aufgehört zu weinen und musterte Scall und Rochalla voller Neugier. »Werdet ihr beide jetzt Lebensgefährten?«, wollte sie wissen.
Scall errötete, und so blieb die Antwort Rochalla überlassen. »Ja«, sagte sie fest. »Ja, so wird es sein.«
»Und wollt ihr bei mir und meinem Papa bleiben?«
»Das ist der Plan.«
»Gut«, sagte Annas entschieden. »Es ist ein guter Plan. Können wir dann jetzt nach Hause gehen?«
»Ja, machen wir, dass wir hier rauskommen.« Tormon drehte sich zu Toulac um und vermied es tunlichst, Amaurn und Zavahl anzusehen. »Wir finden hinaus, auf demselben Weg, wie wir hereingekommen sind, und wir nehmen Scall mit.« Ohne ein weiteres Wort machte er kehrt und ging auf die Treppe zu. Doch ehe er dort ankam, hörte er Seriema seinen Namen rufen. Er sah sie aus dem zweiten Bogengang herauskommen, und da waren noch etliche bei ihr, unter anderem dieses Gottesschwert
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