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Der Schattenesser

Der Schattenesser

Titel: Der Schattenesser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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»Du weißt, daß ich das so nicht gemeint habe.«
    »Ja, ich weiß.« Er ergriff ihre Hand und drückte sie sanft. »Tut mir leid. Komm, ich nehme die Kleine.«
    Nadjeschda schüttelte heftig den Kopf. Ihr langes Haar wirbelte umher und verfing sich kraus im Pelzkragen ihres Mantels. »Falls uns irgendeine Gefahr droht, solltest du beide Hände freihaben.« Sie lächelte, und für einen Augenblick verschwanden all die Sorgen und die Angst von ihrem Gesicht. Sie war wieder die süße, unbeschwerte Nadja, die er im letzten Winter zur Frau genommen hatte. »Irgendwer muß auf uns achtgeben, oder?«
    »Ich bin kein Kämpfer«, sagte er müde.
    »Der beste, den wir haben.«
    Seit Tagen waren sie keiner Menschenseele begegnet, und das war gut so. Zu dritt - nur er, Nadjeschda und die Kleine - konnten sie es bis Prag schaffen. Die Ländereien Ostböhmens lagen ebenso tot da wie die Menschen, die sie einst bewohnt hatten. Dörfer und Gutshöfe waren verwüstet, die Männer niedergemetzelt, die Frauen geschändet und ermordet. Die Horden des Fürsten Bethlen Gabor waren aus Siebenbürgen nach Böhmen gekommen, um König Friedrich in seinem Kampf gegen die Liga beizustehen. Statt dessen aber zogen sie schon seit Wochen umher, töteten alles, was ihnen vor die Klingen kam, plünderten, brandschatzten, kannten weder Mitleid noch Gnade. Seit der Pest war keine erbarmungslosere Plage über das Land gekommen, keine, die grausamer war. Alles Leben ertrank im eigenen Blut.
    Bis nach Prag waren es noch mehrere Tagesmärsche. Sie hatten das Pferdegespann, mit dem sie vom brennenden Hof seiner Familie aufgebrochen waren, längst zurücklassen müssen. Einmal hatten einige der Schlächter aus Transsylvanien sie auf der Straße bemerkt. Mit letzter Kraft war ihnen die Flucht gelungen - zu Fuß durch den Wald. Seither zogen sie es vor, unauffälliger zu reisen. Eine Kutsche war zu laut und zu sperrig. Ihnen blieb nur der Fußmarsch.
    Michal betrachtete noch einmal das Papierskelett, dann gingen sie weiter. Langsam, sehr vorsichtig. Aus der Richtung der Wegkehre war kein Laut zu hören, nur der Wind fauchte geisterhaft in der Tiefe der Wälder.
    Angespannt blieb er stehen. »Versteck dich mit Modja im Unterholz«, sagte er. »Ich will erst nachsehen, was uns dort vorne erwartet.«
    Nadjeschda folgte seinem Wunsch, vor allem um des Kindes willen. Sie hatte Angst, entsetzliche Angst, aber sie wollte nicht tatenlos zusehen, wie Michal etwas zustieß. Doch mit der Kleinen im Arm blieb ihr keine Wahl.
    Michal wartete, bis die beiden hinter den vorderen Büschen verschwunden waren, dann ging er langsam weiter. Das Schwert mit dem prachtvollen venezianischen Gitterkorb, das er aus dem brennenden Gutshaus hatte retten können, war längst verloren. Als einzige Waffe blieb ihm ein fester Knüppel. Ihm war klar, daß er Bethlen Gabors Truppen nichts entgegenzusetzen hatte. Falls wirklich sie es waren, die ihn hinter der Biegung erwarteten, blieb nur die Flucht. Andererseits bezweifelte er, daß die Soldaten ihre Zeit mit dem Ausschneiden von Papiergerippen vertaten, wo sie doch auf jedem ihrer Wege Hunderte echte zurückließen.
    Er schloß seine Faust fester um den Stock und machte langsam Schritt um Schritt. Jetzt hatte er den Beginn der Biegung erreicht. Noch immer konnte er nicht sehen, was dahinter lag. Er horchte angestrengt auf Stimmen, auf Pferdestampfen oder das Klirren von Rüstzeug, doch da war nichts dergleichen. Nur das Säuseln des Windes und ein trockenes Flügelschlagen, als sich eine Krähe in einer blattlosen Baumkrone niederließ.
    Der Pfad verbreiterte sich zu einer Schneise und führte schließlich hinaus auf eine Lichtung. Sie war mit niedrigem Gras bewachsen und nicht allzu groß. Der Weg schien hier zu enden, denn jenseits der Wiese war der Waldrand dicht und lückenlos, ein Einschnitt war nirgends zu sehen.
    Die Lichtung schien verlassen, weder Mensch noch Tier waren zu sehen. Michal umrundete sie zögernd, warf wachsame Blicke auch zwischen die Bäume. Doch da war nichts. Nicht einmal ein Hinweis, der verraten hätte, woher das Skelett so unverhofft gekommen war. Vielleicht war es tatsächlich irgendwann von einer Kutsche gefallen oder sonstwie durch Zufall hierhergeraten. Mochte der Himmel wissen, wie weit der Wind es getragen hatte. Doch hätte es dann nicht im Regen der vergangenen Tage aufweichen müssen?
    Erleichtert, wenn auch nicht vollkommen sorglos, ging er zurück zu Nadjeschda und Modja. Die Kleine hatte zu

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