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Der Schattengaenger

Der Schattengaenger

Titel: Der Schattengaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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Wochen nicht mehr hier. Der sogenannte Schattengänger hatte bestimmt schon Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um sie aufzuspüren. Was lag da näher, als Imkes Lebensgefährten im Auge zu behalten?
    Tilo hatte allmählich eine Vorstellung davon, wie ein Lockvogel sich fühlen musste. Ein paar Mal war er schon versucht gewesen, den Kommissar anzurufen. Er hatte es schließlich bleiben lassen und war froh darüber. Niemand konnte etwas für ihn tun. Er hätte sich bloß lächerlich gemacht.
    Er war auf dem Heimweg. In der Rushhour fühlte er sich aufgehoben. Stoßstange an Stoßstange krochen die Wagen über die Autobahn. Tilo war von Menschen umgeben und deshalb geschützt.
    Als er zum ersten Mal begriffen hatte, dass es Angst war, was ihm im Nacken saß, da hatte er sich geschämt. Imke wurde von einem Psychopathen bedroht, und statt ihr Stärke und Halt zu bieten, hatte er sie wegfahren lassen und selbst jede Stärke verloren. Abscheulich war das, feige und verachtenswert.
    Tilo schaute nach rechts, direkt in die Augen einer jungen  Frau, die ihn aus einem silbernen Smart heraus forschend musterte. Scheinbar gefiel ihr, was sie sah, denn sie warf ihr blondes Haar zurück und lächelte ihn an. Tilo wich ihrem Blick aus. Sie hatte ja keine Ahnung. Wusste nicht, wie wenig er zum Beschützer taugte.
    Ich Tarzan. Du Jane.
    Glaubte er etwa insgeheim immer noch daran, dass Frauen das wollten? Hatte Imke nicht oft genug über muskelbepackte Arme gelästert und über Chauvinisten und Vaterfiguren gefrotzelt?
    Imke mochte es, wie sie miteinander umgingen. Sie brauchte einen Mann, der ihre Bewegungsfreiheit nicht einschränkte und ihr nicht die Luft zum Atmen nahm. Jeder lebte sein eigenes Leben und an gewissen Punkten berührten sich diese Leben. Das war ihre Gemeinsamkeit.
    Davon abgesehen konnte Tilo nicht einfach seine Praxis schließen, um für ein paar Wochen mit Imke unterzutauchen. Seine Patienten mussten sich auf ihn verlassen können. Er hatte Verantwortung für sie übernommen.
    Er erinnerte sich an eine schreckliche Geschichte, die ein Kollege ihm erzählt hatte. Der war mit Freunden übers Wochenende ans Meer gefahren und hatte, um Ruhe zu finden, sein Handy ausgeschaltet. An diesem Wochenende hatte sich eine manisch depressive Frau, die bei ihm in Behandlung gewesen war, das Leben genommen.
    »Sie hat regelmäßig damit gedroht«, hatte der Kollege sich zu rechtfertigen versucht. »Niemand konnte damit rechnen, dass sie diesmal Ernst machen würde.«
    Damit muss man immer rechnen, hatte Tilo damals gedacht. Er hatte seine Lehre daraus gezogen.
    Und wenn Imke nun etwas zustieß?
    Aber deswegen hatte er ihr ja zugeredet, wegzufahren. Damit sie in Sicherheit wäre.
    Endlich kam Bewegung in die Autoschlange. Der Stau löste sich auf. Tilo freute sich darauf, nach Hause zu kommen, sich mit einem Glas Wein in den Wintergarten zu setzen und ein langes Telefongespräch mit Imke zu führen. Zufrieden beschleunigte er das Tempo.
     
    Imke hatte den ganzen Nachmittag damit zugebracht, durch die Gegend zu spazieren. Sie hatte ein Gespür für die Landschaft bekommen wollen und einen Eindruck von den Menschen, die hier lebten.
    Hügeliges, sanft gewelltes Land. Sattes Grün, zerteilt vom Grau kurviger Straßen. Obstwiesen, Scheunen und schiefe Zäune. Ab und zu ein Bach mit zu viel Wasser. Die ersten zögernden Blüten im Moos der Wälder. Tannen bis zum Himmel, Schatten und Licht.
    Die in Schiefer gehüllten Häuser um strenge Kirchen geschart. Auf den Fensterbänken fleischige Pflanzen ohne Blüten. Schornsteine. Rauch. Dampfende Misthaufen vor den Gehöften. Katzen auf sauber gefegten Treppenstufen. Kläffende Hunde im Hintergrund der Höfe. Dann und wann ein misstrauischer Blick. Kaum mal ein Wort.
    Imke hatte sich um Jahrzehnte zurückversetzt geglaubt.
    Sie hatte sich für eine Pension entschieden, die neben Zimmern auch Appartements vermietete. Ihres war in einem Anbau untergebracht. Es verfügte über einen Wohn- und einen Schlafraum und eine winzige Küche. Das war komfortabler als ein einzelnes Zimmer und ermöglichte es Imke, sich selbst zu verköstigen. Es gab ihr ein bisschen das Gefühl, zu Hause zu sein.
    Heute hatte sie Lust auf ein herzhaftes Abendessen gehabt, und so saß sie in der mit Topfpflanzen und Nippes überladenen Gaststube eines einfachen Lokals, umgeben von vielfältigem Gemurmel, vor sich ein deftiges Wildgulasch mit Rotkohl und Klößen.
    Das Essen war ausgezeichnet. Imke hatte sich dazu

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