Der Schattengaenger
Manuel, da tanzen die Mäuse auf dem Tisch. Er war verärgert. Die Handlungen der Menschen waren so vorhersehbar. Er hätte darauf gewettet, dass diese Frau ihre Grenzen bei der ersten Gelegenheit überschreiten würde. Es hätte ihn nicht gewundert, wenn sie sich als Nächstes mit einer Zigarre aufs Sofa gefläzt hätte, um mit ihrer Tochter in Australien zu telefonieren.
Jetzt fing sie auch noch an zu singen!
Ein Lied, das Manuel nicht kannte. Sie sang es in einer fremden, weichen, traurigen Sprache. Es gefiel Manuel ganz und gar nicht, dass sie dieses Haus so unverfroren in Besitz nahm.
Sie gehörte nicht hierher.
Er hatte sich in Ruhe umschauen wollen. Irgendwo in einem dieser Zimmer musste es einen Hinweis auf Imke Thalheims Aufenthaltsort geben. In einer der Schubladen, einem der Aktenordner oder im Computer. Er hätte alle Zeit der Welt gehabt.
Und nun das.
Während die Putzfrau unten ihren Kaffee trank, überlegte Manuel, was er tun sollte. Er hoffte, dass sie heute nicht auf die Idee kam, in den Keller zu gehen. Auf den ersten Blick würde sie die Spuren nicht entdecken, denn Manuel hatte das Fenster mit einem Holzkeil wieder festgestellt, nachdem er es aufgebrochen hatte, um einzusteigen. Auf den zweiten Blick jedoch würde sie erkennen, dass der Kunststoffrahmen stark verzogen war.
Und wenn schon. Sie konnte ihm nicht gefährlich werden. Sie würde die Polizei alarmieren, aber Manuel wäre längst auf und davon, bevor der erste Streifenwagen hier einträfe.
Eine Schranktür klappte zu. Wahrscheinlich machte sie sich jetzt auch noch über irgendwelche Kekse her. Betatschte alles mit ihren groben Händen, zerstörte die Stille im Haus.
Kam ihm in die Quere und scherte sich einen Dreck darum.
Wut stieg in ihm auf wie ein Fieber. Als er die Hände zu Fäusten ballte, spürte er, wie sich seine Nägel in das Fleisch der Handflächen bohrten.
Sie fühlte sich wie neugeboren. Ihr Körper schien an Gewicht verloren zu haben. Leichtfüßig bewegte sie sich in den lichten Räumen, fast schwebte sie. Ein solches Haus zu besitzen, wäre das Schönste auf Erden. Erst recht, es allein zu bewohnen.
Regina Bergerhausen war Mutter zweier Töchter, die beide nicht mehr nach Hause kamen. Sie hatte den Kontakt zu ihnen vollständig verloren, wusste nicht einmal, wo sie lebten. Möglicherweise war sie schon Großmutter, ohne es zu ahnen. Sie schob diesen Gedanken rasch beiseite. Die wenigen kostbaren Stunden hier wollte sie sich durch nichts verderben lassen.
Sie holte die Post aus dem Briefkasten und legte sie auf den Tisch im Wintergarten. Wenn das obere Stockwerk an der Reihe war, würde sie sie mit nach oben nehmen und zu der übrigen Post auf Frau Thalheims Schreibtisch legen.
Sie saugte gründlich, bevor sie anfing zu wischen. Sie machte alles genauso wie bei sich zu Hause. Vor allem deswegen war sie gut. Sie lieferte keine Arbeit ab, mit der sie nicht selbst zufrieden war.
Ein Blick aus einem der Fenster des Wintergartens zeigte ihr, dass der Regen allmählich nachließ. Doch der Himmel war womöglich noch dunkler geworden. Vielleicht würde es gleich erst richtig losgehen, vielleicht bereitete sich ein Unwetter vor.
Sie wollte sich gerade wieder über den Putzeimer beugen, als sie den Bussard entdeckte. Er saß nass und stoisch auf einem Zaunpfahl und schaute zum Haus herüber. Regina Bergerhausen hatte ihn noch nie so nah gesehen und hielt unwillkürlich den Atem an. Frau Thalheim hatte eine ganz besondere Beziehung zu diesem Tier. An manchen Tagen schien sie förmlich nach ihm Ausschau zu halten und sich erst zu entspannen, wenn sie ihn irgendwo ausgemacht hatte.
Eine Gänsehaut lief Regina Bergerhausen über die kräftigen Arme. Sie schüttelte den Kopf und arbeitete weiter.
Nach dem Mittagessen hatte Frau Stein mir freigegeben. Ich hatte in den letzten Wochen so oft länger gearbeitet, dass sie der Meinung war, ich hätte mir einen freien Nachmittag redlich verdient. Mir kam das sehr gelegen, denn es gab ein paar Dinge, die ich unbedingt erledigen wollte.
Im Haus meiner Mutter standen noch einige Kartons mit Büchern, die mir gehörten. Ich hatte sie in unserer alten Wohnung nicht unterbringen können, aber jetzt war genug Platz vorhanden, und so hatte ich beschlossen, nach dem Dienst einen Abstecher zur Mühle zu machen und die erste Ladung mitzunehmen.
Ich besaß noch immer meine Schlüssel und hatte mit Tilo abgesprochen, dass ich irgendwann zwischendurch vorbeikommen würde, um
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