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Der Schattenjäger (German Edition)

Der Schattenjäger (German Edition)

Titel: Der Schattenjäger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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Sie wissen schon.«
    »Nein, das weiß ich eben nicht.«
    »Nun, ich will jetzt keine Gerüchte wiederholen. Außerdem habe ich Asher nicht zu meinen Freunden gezählt. Er hatte auch sonst keine Freunde. Trotzdem tat er mir leid. Asher hatte sein Päckchen zu tragen, sogar als Genie. Und ein Genie war er wirklich, mochten manche auch zweifeln, wie er dazu gekommen war.«
    »Wie dem auch sei«, sagte Wolf, auf den Anfangspunkt ihres Gesprächs zurückkommend, »ich möchte schon mit Madame Aalinda, äh, Miss Schneiderman sprechen. Und auch mit Sam, dem Garderobier, wie hieß er doch gleich mit Nachnamen?«
    »Oh, den weiß ich gar nicht«, platzte Goldfaden heraus. »Aber Pearl, die habe ich nach Hause geschickt. Die ganze Aufregung, wissen Sie.«
    »Das tut mir aber leid«, sagte Wolf mitfühlend. »Soll ich eine Beamtin abstellen, die sich um sie kümmert?«
    »Das wird nicht nötig sein. Ich rufe sie einfach an.«
    »Und was ist mit Sam?«
    »Ja, ehrlich gesagt, ich weiß gar nicht, wo er wohnt.«
    Wolf bedachte Goldfaden mit einem Blick, den Sascha gefürchtet hätte.
    »Glauben Sie mir, ich weiß es wirklich nicht. Er hat früher bei seiner Familie in der Henry Street gewohnt, gleich über dem koscheren Metzger, das ist das Letzte, was ich über ihn weiß. Aber die Schloskys vagabundieren ja wie Zigeuner herum. Sie kennen doch die Verhältnisse hier, am Tag, an dem die Miete fällig ist, sitzen viele Jugendliche mit ihren Siebensachen und ohne Adresse auf dem Bürgersteig. So auch die Schlosky-Jungen. Barfuß und mit leerem Magen sind sie in diese kalte Welt geschickt worden, nur ihr rotes Haar als Wappen. Wie soll man bei so einer Familie auf dem Laufenden bleiben? Ich habe Sam immer unter der Hand bezahlt, das war uns beiden recht. Wenn Sie mich dafür drankriegen wollen, bitte schön!«
    Wolf lachte nur und bat Goldfaden, Pearl Schneiderman für ihn anzurufen.
    »Für Sie tue ich doch alles«, behauptete Goldfaden augenzwinkernd. »Unterdessen können Sie mit den anderen Augenzeugen sprechen – den dreihundert Zuschauern im Saal!«
    In der folgenden Stunde hörten sie Aussagen von Zeugen aus allen Milieus: Ladenbesitzer aus der Hester Street und strenggläubige Kantoren,
wicca
nistische Revolutionäre und ausgebeutete Näherinnen. Sie sprachen mit den Limonaden- und Bonbonverkäufern, die mit dem Bauchladen durch den Theatersaal gingen, und schließlich auch mit den Varieté-künstlern, der Schlangenfrau, den Revuetänzerinnen und übrigen Darstellern und Sängern, die sich in den Kulissen aufgehalten hatten. Diese hatten die beste Sicht auf den Klezmerkönig bei seinem letzten Auftritt gehabt. Doch alle sagten mehr oder weniger das Gleiche aus, sodass sich Sascha am Ende fragte, ob sie sich vor der Vernehmung untereinander abgesprochen hatten.
    Der Klezmerkönig habe, so hieß es aus aller Munde, gerade sein berühmtes Solo, das große
terkisch-bulgarische
mit den hohen Tönen, begonnen, als sein elektrischer Frack plötzlich Funken sprühte und blaue Blitze aussandte. Asher habe wankend einen Schrei ausgestoßen und sei tot zusammengebrochen.
    So jedenfalls lautete die Geschichte. Und alle, die im Hippodrome arbeiteten, schienen sich daran zu halten.
    Wolf verstand es, Fragen zu stellen. Er ging so feinfühlig und diskret vor, dass der vernommene Augenzeuge – oder Verdächtige – gar nicht merkte, wenn Wolf vom höflichen Geplauder zu den entscheidenden Fragen überging. Sascha kannte Wolf mittlerweile gut genug, um zu wissen, dass ihm zwei Fragen auf den Nägeln brannten: Wo befand sich Sam Schlosky? Und was waren Naftali Ashers letzte Worte?
    Früher oder später, mehr oder weniger verschleiert, stellte er allen Zeugen diese beiden Fragen. Und alle Zeugen, von der korpulenten Dame bis zum schmächtigen Jungen, logen Wolf an.
    Keiner wollte Ashers letzte Worte gehört haben. Keiner wollte auch nur raten, wie sie gelautet haben könnten. Keiner hatte Sam Schlosky nach Ashers Tod gesehen, auch wusste keiner, wo er sich aufhalten könnte.
    »Das gibt es doch nicht«, brummte Wolf, und seine Stimme klang zum ersten Mal eine Spur verärgert. »Wie kann ein Mann vor Publikum seine letzten Worte hinausschreien, ohne dass auch nur einer der dreihundert Zuschauer etwas gehört hätte?«
    Goldfaden schüttelte die Hängebacken und schien angestrengt nach einer Erklärung oder doch ein paar Trostworten zu suchen. »Das sind die Tücken der Akustik. Die Wissenschaft von der Ausbreitung des Schalls im Raum ist

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