Der Schattenprinz
weiß es nicht.«
»Ich habe etwas zu essen mitgebracht«, sagte Thorn und reichte Ananais ein mit Weichkäse belegtes Brot. Ananais hatte gerade einen Bissen genommen, als die Trommeln wieder einsetzten.
Vor Sonnenuntergang wurden weitere fünf Angriffe zurückgeschlagen, und auch ein nächtlicher Angriff wurde unter schweren Verlusten für die Drenai abgewehrt.
Ananais blieb bis zwei Stunden vor Morgengrauen auf der Mauer, doch Decado versicherte ihm, daß keine weiteren Angriffe geplant wären, so daß der General schließlich von den Wehrgängen stolperte. Valtaya hatte ein Zimmer im Lazarett, doch er widerstand der Versuchung, zu ihr zu gehen; stattdessen zog er sich unter die Bäume zurück und fiel auf einem grasbewachsenen Hügel in tiefen Schlaf.
Vierhundert Mann waren aus dem Kampf; die Verwundeten überfluteten das Krankenhaus und mußten auf Decken ins Gras zwischen den Gebäuden gebettet werden.
Ananais hatte Verstärkung angefordert - zweihundertfünfzig Mann aus der Reservetruppe.
Wie er von Acuas erfuhr, waren die Verluste in Tarsk geringer gewesen; aber dort hatte es auch nur drei Angriffe gegeben. Turs, der junge Krieger, der die Tarsk-Truppe anführte, hatte sich den Berichten zufolge gut gehalten.
Es war jetzt offensichtlich, daß der Hauptangriff bei Magadon erfolgen sollte. Ananais hoffte, daß die Bastarde noch nicht morgen geschickt würden, doch im Herzen wußte er, daß genau dies geschehen würde.
Gegenüber vom Lazarett warf sich ein junger Krieger unruhig im Schlaf hin und her, als seine Alpträume schlimmer wurden. Plötzlich versteifte er sich, und ein erstickter Schrei erstarb in seiner Kehle. Er öffnete die Augen und richtete sich auf. Dann tastete er nach seinem Messer. Er drehte es um und stieß es sich langsam zwischen den Rippen in die Brust, bis es in sein Herz drang. Dann zog er es heraus und stand auf. Kein Blut rann aus der Wunde .
Langsam ging er zum Lazarett und starrte durch das offene Fenster. Drinnen arbeitete Valtaya noch immer und kämpfte um das Leben der Verwundeten.
Der Mann zog sich vom Fenster in den Wald zurück, wo etwa zweihundert Flüchtlinge ihre provisorischen Zelte aufgeschlagen hatten. An einem Lagerfeuer saß Rayvan, ein Baby auf den Armen, und unterhielt sich mit drei Frauen.
Der tote Mann ging auf sie zu.
Rayvan blickte auf und sah ihn - sie kannte ihn gut.
»Kannst du nicht schlafen, Oroda?«
Er antwortete nicht.
Dann sah Rayvan das Messer und runzelte die Stirn. Als der Mann neben ihr niederkniete, sah sie in seine Augen. Tot und leer starrten sie zurück, ohne etwas zu sehen.
Das Messer blitzte auf. Rayvan wich aus und drehte sich, so daß sie mit ihrem Körper das schlafende Kind schützte. Die Klinge ritzte ihre Hüfte. Sie ließ das Kind los, wehrte den nächsten Stoß mit dem Unterarm ab und hämmerte dem Mann die rechte Faust ans Kinn. Er fiel, stand jedoch wieder auf. Rayvan stemmte sich hoch. Die anderen Frauen kreischten, und das Kind hatte zu schreien angefangen. Als der Tote näherkam, wich Rayvan zurück; sie fühlte, wie Blut an ihrem Bein hinabrann. Dann stürzte ein Mann vor, der einen Schmiedehammer schwang und ihn auf den Schädel des Toten niedersausen ließ. Der Schädel brach, doch der Mann verzog keine Miene.
Ein Pfeil drang dem Toten in die Brust. Er blickte lediglich darauf hinunter und zog ihn langsam heraus. Galand lief herbei, gerade als der Tote Ray-van erreichte. Als er das Messer zückte, holte Ga-land aus, und der Messerarm flog abgetrennt vom Körper. Der Leichnam taumelte … und stürzte.
»Die wollen dich aber wirklich unbedingt tot sehen«, sagte Galand.
»Sie wollen uns alle tot sehen«, erwiderte Ray-van.
»Morgen wird ihr Wunsch in Erfüllung gehen«, meinte er.
Valtaya hatte die Schnittwunde an Rayvans Hüfte mit neun Stichen genäht. Jetzt schmierte sie eine dicke Salbe über die Wunden.
»Damit es keine häßlichen Narben gibt«, erklärte Valtaya.
»Das spielt bei mir keine Rolle mehr«, meinte Rayvan. »Wenn du erst einmal in meinem Alter bist, bemerkt kein Mensch mehr eine Narbe auf der Hüfte - verstehst du, was ich meine?«
»Unsinn. Du bist eine gutaussehende Frau.«
»Eben. Es gibt kaum Männer, die eine gutaussehende Frau bemerken. Du bist Schwarzmaskes Geliebte, nicht wahr?«
»Ja.«
»Kennst du ihn schon lange?«
»Nein, nicht lange. Er hat mir das Leben gerettet.«
»Ich verstehe.«
»Was verstehst du?«
»Du bist ein nettes Mädchen, aber vielleicht nimmst du deine
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