Der Schattenprinz
Krieger ging davon und legte sich wieder ins Gras, um sein Nickerchen fortzusetzen. Decado setzte sich auf die Brüstung und beobachtete ihn.
War es klug, Ananais vorzuenthalten, daß Tena-ka jetzt Khan des größten Feindes der Drenai war? Aber was wäre damit erreicht, es ihm zu sagen? Er vertraute Tenaka, und wenn ein Mann wie Ananais sein Vertrauen schenkte, war es härter geschmiedet als Silberstahl. Für Ananais wäre es unvorstellbar, daß Tenaka ihn verraten könnte.
Es war gnädig, ihn mit diesem unerschütterten Glauben sterben zu lassen.
Oder nicht?
Hatte ein Mann nicht das Recht, die Wahrheit zu erfahren?
»Decado!« rief eine Stimme in seinem Geist. Es war Acuas, und Decado schloß die Augen, um sich auf die Stimme zu konzentrieren.
»Ja?«
»Der Feind hat Tarsk erreicht. Keine Spur von den Bastarden.«
»Sie sind alle hier!«
»Dann werden wir zu euch kommen. Ja?«
»Ja«, antwortete Decado. Er hatte acht Priester bei sich in Magadon behalten und die anderen neun nach Tarsk geschickt.
»Wir haben getan, was du vorgeschlagen hast, und sind in den Geist der Ungeheuer eingedrungen. Aber ich glaube nicht, daß dir gefallen wird, was wir dort gefunden haben.«
»Sag’s mir.«
»Sie gehörten zum Drachen! Ceska hat vor fünfzehn Jahren damit begonnen, sie zusammenzutreiben. Einige der jüngeren sind Männer, die gefangen wurden, als der Drache sich neu formierte.«
»Ich verstehe.«
»Macht das einen Unterschied?«
»Nein«, erwiderte Decado. »Es verstärkt nur den Kummer.«
»Das tut mir leid. Läuft alles wie geplant?«
»Ja. Bist du sicher, daß wir nahe an sie heran müssen?«
»Ja«, erklärte Acuas. »Je näher, desto besser.«
»Die Templer?«
»Sie haben die Mauer in der Leere durchbrochen. Wir hätten um ein Haar Balan verloren.«
»Wie geht es ihm?«
»Er erholt sich bereits wieder. Hast du Ananais von Tenaka Khan erzählt?«
»Nein.«
»Du mußt es am besten wissen.«
»Das hoffe ich. Kommt her, sobald ihr könnt.«
Unten im Gras lag Ananais in einem traumlosen Schlaf. Valtaya sah ihn dort und bereitete eine Mahlzeit aus gebratenem Fleisch und warmem Brot zu. Nach einer Stunde brachte sie ihm das Essen, und gemeinsam gingen sie in den Schatten einiger Bäume, wo er seine Maske abnahm und aß.
Sie konnte ihm beim Essen nicht zusehen und ging umher, um Blumen zu pflücken. Als er fertig war, kam sie wieder zu ihm.
»Setz die Maske auf«, bat sie. »Es könnte jemand vorbeikommen.«
Seine strahlend blauen Augen brannten sich in die ihren; dann wandte er den Blick ab und setzte die Maske auf.
»Es ist gerade jemand gekommen«, sagte er traurig.
Im Laufe des Vormittags erklangen im Lager des Feindes die Signalhörner, und rund zehntausend Krieger begannen, sich zielstrebig zwischen den Wagen zu bewegen - sie machten Leitern los, banden Taue an Enterhaken und rückten Schutzschilde zurecht.
Ananais lief zu der Mauer, wo Lake sich über seinen Riesenbogen beugte, um Seile und Knoten zu prüfen.
Die Armee stellte sich im Tal auf; die Sonne funkelte auf Schwertern und Speeren. Eine Trommel begann zu dröhnen, und die Truppe setzte sich in Bewegung.
Auf der Mauer leckten die Verteidiger sich die trockenen Lippen und wischten sich die schweißnassen Handflächen an den Tuniken ab.
Der langsame Rhythmus der Trommeln hallte von den Bergen wider.
Entsetzen traf die Verteidiger wie eine Flutwelle. Männer schrien, sprangen von der Mauer und rollten sich im Gras zusammen.
»Die Templer!« brüllte Decado. »Es ist nur ein Trugbild!«
Doch die Panik brandete weiter über die Reihen der Skoda-Krieger hinweg. Ananais versuchte sie zu beruhigen, doch auch seine Stimme zitterte vor Angst. Immer mehr Männer sprangen von der Mauer, während die Trommeln näher kamen.
Hunderte strömten jetzt zurück und kamen stolpernd zum Stehen, als sie die Frau sahen, die dort in ihrem rostigen Kettenhemd vor ihnen stand.
»Wir laufen nicht davon!« rief Rayvan. »Wir sind Skoda! Wir sind die Nachfahren von Druss der Legende! Wir laufen nicht davon!«
Sie zog ein Kurzschwert und schritt durch die Reihen der Männer hindurch zur Mauer. Nur eine Handvoll Krieger war noch auf der Brüstung, und diese Männer waren geisterhaft blaß und zitterten. Rayvan stieg die Stufen empor. Ihre Angst wuchs, als sie die Wehrgänge erreichte.
Ananais taumelte auf sie zu und streckte eine Hand aus, die Rayvan dankbar ergriff.
»Sie können uns nicht schlagen«, sagte sie mit zusammengebissenen Zähnen. Ihre
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