Der Schattenprinz
Ich habe sie heute Abend allesamt beobachtet und ihre Gedanken geteilt. Wo Ruhe sein sollte, war Aufregung, ja, Kampfeslust. Es begann, als du Padaxes getötet hast und sie sich über deinen Sieg freuten.«
»Was hast du von ihnen erwartet? Keiner ist älter als fünfundzwanzig! Und sie haben nie ein normales Leben geführt . sich betrunken . eine Frau geküßt. Ihr Menschsein wurde stets unterdrückt.«
»Glaubst du wirklich? Ich würde eher sagen, ihr Menschsein wurde verstärkt.«
»Für dieses Gespräch bin ich vielleicht nicht der richtige Partner«, gab Decado zu. »Ich weiß nicht, was du von ihnen erwartest. Sie werden für dich sterben. Ist das nicht genug?«
»Nein. Bei weitem nicht. Dieser finstere kleine
Krieg ist bedeutungslos angesichts des unendlichen Feldes menschlicher Bestrebungen. Glaubst du nicht auch, diese Berge hier haben das alles schon einmal gesehen? Spielt es eine Rolle, daß wir alle vielleicht morgen sterben? Wird die Welt sich deswegen auch nur ein bißchen langsamer drehen? Werden die Sterne heller strahlen? In hundert Jahren ist keiner von denen mehr am Leben, die heute hier sind. Spielt das eine Rolle? Vor vielen Jahren starb Druss die Legende auf den Mauern von Dros Delnoch, um die eindringenden Nadir aufzuhalten. Ist das jetzt noch von Bedeutung?«
»Für Druss war es von Bedeutung. Und für mich auch.«
»Warum?«
»Weil ich ein Mensch bin, Priester, ganz einfach. Ich weiß nicht, ob die Quelle existiert, und im Grunde ist es mir egal. Alles, was ich habe, bin ich selbst und meine Selbstachtung.«
»Es muß doch mehr geben. Es muß den Triumph des Lichts geben. Der Mensch ist bedrängt von Gier, Lust und der Jagd nach dem Vergänglichen. Doch Freundlichkeit, Verständnis und Liebe gehören genauso zur Menschlichkeit.«
»Willst du damit sagen, daß wir die Legion lieben sollen?«
»Ja. Und wir müssen sie bekämpfen.«
»Das ist mir zu hoch«, erklärte Decado.
»Ich weiß. Aber ich hoffe, daß du es eines Tages verstehen wirst. Ich werde nicht mehr sein, um es mitzuerleben. Aber ich bete darum.«
»Was soll das morbide Gerede? So etwas passiert schnell am Abend vor einer Schlacht.«
»Ich bin nicht morbid, Decado. Morgen ist mein letzter Tag auf Erden. Ich weiß es. Ich habe es gesehen. Es macht nichts … ich hatte nur gehofft, daß du mich heute Abend überzeugen könntest, daß ich recht hatte, zumindest, was dich betrifft.«
»Was willst du, daß ich darauf antworte?«
»Es gibt nichts, was du antworten könntest.«
»Dann kann ich dir nicht helfen. Du weißt, wie mein Leben aussah, ehe ich dir begegnete. Ich war ein Killer und schwelgte im Tod. Ich möchte nicht schwächlich klingen, aber ich habe nie darum gebeten, so zu sein - ich war einfach so. Ich hatte weder die Kraft noch den Willen, mich zu ändern. Verstehst du? Aber dann hätte ich beinahe einen Mann getötet, den ich liebte. Ich kam zu euch. Ihr habt mir einen Platz gegeben, an dem ich mich verstecken konnte, und ich war dankbar. Jetzt bin ich wieder da, wo ich hingehöre, mit einem Schwert in Reichweite und dem anrückenden Feind.
Ich leugne die Quelle nicht. Ich weiß nur nicht, welches Spiel sie spielt, warum sie zuläßt, daß die Ceskas dieser Welt am Leben bleiben. Ich will es auch nicht wissen. Solange mein Arm stark ist, werde ich Ceskas Bösem entgegentreten, und am Ende aller Dinge, wenn die Quelle zu mir sagt: >Decado, du verdienst die Unsterblichkeit nicht<, dann werde ich antworten: >So sei es.< Ohne Bedauern.
Vielleicht hast du recht. Vielleicht stirbst du morgen. Wenn wir anderen überleben, werde ich mich um deine jungen Krieger kümmern. Ich werde versuchen, sie auf deinem Weg zu führen. Ich glaube, daß sie dich nicht enttäuschen werden. Aber dann wirst du mit der Quelle sein, und du mußt sie bitten zu helfen.«
»Und wenn ich mich geirrt habe?« fragte der Abt, beugte sich vor und ergriff Decados Arm. »Was, wenn ich die Dreißig nur aufgrund meiner Arroganz ins Leben gerufen habe?«
»Ich weiß es nicht, Abaddon. Aber du hast im Glauben an deinen Gott gehandelt, ohne daran zu denken, was du gewinnen könntest. Selbst wenn du Unrecht hast, sollte dein Gott dir vergeben. Falls er es nicht tut, ist er nicht wert, daß man ihm folgt. Falls einer deiner Priester einen Fehler macht, würdest du ihm nicht vergeben? Vergibst du mehr als dein Gott?«
»Ich weiß es nicht. Ich bin mir über gar nichts mehr sicher.«
»Du hast mir einmal erzählt, Gewißheit und
Glaube gehörten
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