Der Schattenprinz
sagte Tenaka.
»Erzähl mir keine Märchen! Ich habe mein Leben lang im Wald gelebt.«
Tenaka zuckte die Achseln.
»Was es auch ist, ich mag es nicht«, sagte Baidur. »Also wirst du doch nicht langsam sterben. Ich werde dir einfach den Bauch aufschlitzen. Oder vielleicht holt dich ja der Walddämon.«
Sein Arm schwang hoch .
. und ein schwarzgefiederter Pfeil erschien plötzlich in seiner Kehle. Für einen Moment blieb Baidur wie erstarrt stehen. Dann ließ er das Messer fallen und griff langsam nach dem Pfeil. Seine Augen wurden groß, seine Knie gaben nach; dann fiel er zu Boden. Ein zweiter Pfeil schoß über die Lichtung und traf den hellhaarigen Gesetzlosen ins rechte Auge. Er fiel schreiend. Die übrigen rannten auf die zufluchtverheißenden Bäume zu. Ihre Waffen waren vergessen. Eine Weile herrschte Stille; dann trat eine kleine Gestalt unter den Bäumen hervor, einen Bogen in der Hand.
Sie trug Tunika und Beinkleider aus hellbraunem Leder, und eine grüne Kapuze bedeckte ihr Haar. An ihrer Hüfte hing ein kurzes, schlankes Schwert.
»Wie geht es dir, Tenaka?« fragte Renya zuckersüß.
»Ich freue mich aufrichtig, dich zu sehen«, antwortete er. »Binde mich los.«
»Dich losbinden?« fragte sie und hockte sich ans Feuer. »Einen großen, starken Mann wie dich? Ach, komm! Du brauchst doch wohl nicht die Hilfe einer Frau?«
»Jetzt ist nicht die richtige Zeit für Scherze, Re-nya. Binde mich los.«
»Und dann komme ich mit dir?«
»Natürlich«, antwortete er, wohl wissend, daß ihm keine Wahl blieb.
»Bist du sicher, daß ich keine Behinderung wäre?«
Tenaka biß die Zähne zusammen, um nicht vor
Wut zu explodieren, als Renya um den Baum herumging und die Lederriemen mit ihrem Schwert zerschnitt. Tenaka taumelte und stürzte, als die Riemen nachgaben. Renya half ihm ans Feuer.
»Wie hast du mich gefunden?« fragte er.
»Das war nicht schwer«, wich sie aus. »Wie fühlst du dich?«
»Lebendig. So gerade eben. Ich werde vorsichtiger sein müssen, wenn wir über die Berge kommen.«
Renyas Kopf fuhr hoch, ihre Nasenflügel bebten. »Sie kommen zurück«, sagte sie.
»Verflucht! Hol mir mein Schwert.« Er blickte sich um, doch sie war im Wald verschwunden. Er fluchte und kam mühsam auf die Beine. Dann sah er sich um und griff nach seinem Schwert, das auf der anderen Seite des Feuers lag. Er fühlte sich schwach.
Wieder setzte das furchtbare Heulen ein, und sein Blut gefror. Plötzlich trat Renya wieder auf die Lichtung. Sie grinste über das ganze Gesicht.
»Sie rennen so schnell, ich glaube nicht, daß sie stehenbleiben, ehe sie ans Meer kommen«, sagte sie. »Warum schläfst du nicht ein Weilchen?«
»Wie machst du das?«
»Ein Talent von mir«, antwortete Renya.
»Ich habe dich unterschätzt, Frau«, sagte Tenaka und streckte sich neben dem Feuer aus.
»Der ewige Spruch aller Männer«, murmelte Re-nya.
Es wurde bereits wieder Nacht, als Renya und Te-naka die verlassene Festung Dros Corteswain erreichten, die sich in die Schatten der Delnoch-Berge schmiegte. Gebaut in den Tagen Egels, des ersten Bronzegrafen, zur Verteidigung gegen vagri-sche Eindringlinge, wurde die Festung jetzt seit über vierzig Jahren nicht mehr genutzt.
»Unheimlich, findest du nicht?« fragte Renya und lenkte ihre graue Stute nah an Tenaka heran.
»Corteswain war immer schon eine Torheit«, antwortete Tenaka und warf einen Blick zu den düsteren Wehrgängen empor. »Egels einziger Fehler. Es ist die einzige Festung im Reich der Drenai, die nie eine Schlacht gesehen hat.«
Das Hufgeklapper ihrer Pferde hallte in der Nacht wider, als sie auf das Haupttor zuritten. Das Holz war verrottet, und die steinerne Öffnung lachte ihnen wie ein zahnloser Mund entgegen.
»Können wir nicht hier draußen lagern?« fragte Renya.
»Zu viele Walddämonen«, erwiderte Tenaka und duckte sich, als sie nach ihm schlug.
»Halt!« rief eine zittrige Stimme, und Tenakas Augen wurden schmal.
Im offenen Torbogen stand ein alter Mann in rostigem Kettenhemd. In den Händen hielt er einen Speer, dessen Spitze abgebrochen war. Tenaka zügelte sein Pferd.
»Dein Name, Reiter!« rief der alte Mann.
»Ich bin Schwerttänzer. Das ist meine Frau.«
»Kommt ihr in Frieden?«
»Wir sind für niemanden eine Bedrohung, sofern man uns nicht bedroht.«
»Dann könnt ihr hereinkommen«, sagte der alte Mann. »Der Gan erlaubt es.«
»Bist du der Gan von Dros Corteswain?« fragte Tenaka.
»Nein. Das ist der Gan«, erwiderte der alte
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