Der Schattenprinz
verrückt«, sagte ich. »Mit denen vergeuden wir nur unsere Zeit. Wir brauchen ihre Hilfe nicht. Suchen wir alleine weiter.«
Wir entschieden uns für eine schmale Straße, die auch gelb war, und folgten ihr für längere Zeit. Wir konnten nicht so schnell gehen, wie wir es gerne getan hätten, denn unsere Beine hatten sich schon fast zur Hälfte in Stein verwandelt.
Endlich, endlich erreichten wir eine Kreuzung. Aber es war keine neue Kreuzung, sondern die, wo der Steinmann mit seinem Zwerg aus Stein saß.
Das ist Pech, dachte ich. Aber es kann nicht schaden, sie noch einmal zu fragen, ob sie den Weg ins Schattenreich kennen.
Aber auf meine Frage wiederholten beide wieder nur den Spruch, den ich schon auswendig konnte. Wir mussten also selbst eine Lösung finden.
Nun suchten wir uns eine Straße aus, die nicht breit und nicht schmal war. Nach langem, langem Gehen kamen wir wieder zur gleichen Kreuzung zurück.
Ohne diese beiden Verrückten etwas zu fragen, suchten wir eine neue Straße aus. Vielleicht war es eine Straße, auf der wir schon gegangen waren. Ich wusste es nicht mehr. Alles, was ich noch wusste, war, dass ich sehr, sehr müde war. Wir setzten uns unter einen Felsen. Ich spürte, dass ich mich schon fast ganz in Stein verwandelt hatte. Ich saß also, anstatt hei meinen Eltern zu sein, unter einem Felsen in einem Stein, wo alles gelb war, und würde bald selbst ein Stein sein. Und warum das alles? Nur weil ich beweisen wollte, dass ich keine Angst hatte.
»Kann es Schlimmeres geben als das alles?«, jammerte ich.
Es gab Schlimmeres. Vom Felsen, unter dem wir saßen, fielen auf einmal kleine Steinchen auf meinen Kopf. Ich hatte nicht mehr die Kraft ihnen auszuweichen.
Jetzt beweinen auch schon die Steine mein Schicksal, dachte ich.
Der Prinz meldete sich mit müder Stimme: »Siehst du, dass der Felsen weint? Das ist das Ende. Wir werden den Stein nie verlassen können. Wir werden die gestohlenen Sachen nie finden und zurück zu Jola bringen können.«
Das, was der Prinz gesagt hatte, brachte mich auf eine Idee. Vielleicht waren der Mann und der Zwerg aus Stein gar nicht so verrückt, wie ich gedacht hatte. Vielleicht konnte uns das, was sie gesagt hatten, helfen den Stein zu verlassen.
Mit meiner letzten Kraft bewegte ich meine Lippen und sagte laut, was der Mann und der Zwerg aus Stein mehrmals wiederholt hatten:
»Steine weinen nicht. Stein weint, Stein weint.
Nicht durch das Fenster.
Nicht durch die Tür.
Ha, ha, ha, ha.
Vor dem Tor, vor dem Tor, du stehst davor.
Sei bereit. Sei bereit.
Durch das Nichts und die Dunkelheit.
Ha, ha, ha, ha.
Die große Macht,
hat so gedacht, hat so gedacht,
und sich dies alles ausgedacht.«
Als ich den letzten Satz gesagt hatte, war ich mir sicher, dass ich in keiner Zeile einen Fehler gemacht hatte.
Auf der gelben Wiese wuchs vor uns ein großes, rostiges Eisentor aus dem Boden. Es öffnete sich ganz langsam, mit einem lauten Knarren. Aber danach geschah alles sehr schnell. Eine große Kraft strömte aus dem rostigen Tor und zog uns beide mit hinein. Das Tor schloss sich hinter uns. So verließen wir den Stein.
Dort, wo wir jetzt waren, war es dunkel. Und außer der Dunkelheit gab es nichts.
Durch die Dunkelheit und das Nichts
Die Kraft war so stark, dass sie uns irgendwohin brachte. Ich wusste aber nicht, wohin. Eines war klar: Wir waren irgendwo in der Mitte der Dunkelheit. Denn ich konnte wirklich nichts sehen. Und noch etwas war klar: Ich hatte keine Steinbeine mehr. Ich fühlte mich so leicht, als ob ich überhaupt keine Beine mehr hätte.
Wo mein Freund der Prinz war, wusste ich auch nicht. Also versuchte ich ihn in der Dunkelheit zu finden. Aber es war so dunkel, dass ich nicht das Geringste sehen konnte.
»Ist da jemand?«, rief ich mit meiner lautesten Stimme.
»Oh ja, oh ja«, antwortete eine hohe, mir unbekannte Stimme ganz schnell. »Willkommen in der, willkommen in der Dunkelheit, Dunkelheit.«
Und dann meldete sich auch noch eine tiefe, langsame, mir unbekannte Stimme: »Wiiiillkoooommeeeen iiiim Niichts.«
Ich wusste nicht, wer das gesagt hatte. Vielleicht war es der Prinz, um mir Angst zu machen, dachte ich.
»Ist da jemand?«, rief ich wieder.
Wieder antworteten diese unbekannten Stimmen.
»Oh ja, oh ja, ich bin da da da.«
»Iiiiich biiiin auuuuch daaaa.«
»Wer seid ihr?«, fragte ich.
»Die Dunkelheit. Die Dunkelheit. Ich bin die Dunkelheit, die Dunkelheit«, antwortete die erste unbekannte
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