Der Schatz des Blutes
aufsuchen sollten. Die Stelle so zu sehen, als Gönner und als Prüfling, dürfte uns beiden Stoff zum Nachdenken liefern, auch wenn es unterschiedliche Stoffe für höchst unterschiedliche Gedankengänge sein dürften.«
Während Hugh de Payens seiner tiefen Stimme lauschte, glaubte er, einen humorvollen Unterton in diesen Worten zu entdecken, doch seine Ehrfurcht vor dem anderen Mann war so groß, dass er nicht ganz glauben konnte, dass sich dieser zu so etwas wie Humor herablassen würde. So nickte er nur mit bescheiden gesenktem Blick. Er trat an St. Clairs Seite, hielt sich jedoch etwas hinter ihm, zu bescheiden und unsicher, um selbst das Wort zu ergreifen.
Hugh war achtzehn Jahre alt, kräftig für sein Alter und normalerweise unbezähmbar. Doch jetzt überwältigten ihn der Ruhm und der Rang des Mannes an seiner Seite, ein Mann, der zudem zweifellos der eindrucksvollste Mann war, den Hugh je gesehen hatte.
Ohne sich nach seinem Patensohn umzublicken, streckte St. Clair jetzt die rechte Hand leicht nach hinten aus und legte sie dem jungen Mann in den Nacken, dann schob er ihn sanft nach vorn, bis sie gleichberechtigt Seite an Seite schritten.
»Euer Vater sagt mir, dass er große Hoffnungen in Euch setzt.« Die Hand löste sich von Hughs Schulter. »Wusstet Ihr das?«
Hugh schüttelte den Kopf und schluckte verlegen den Kloß in seinem Hals herunter.
»Nein, Mylord«, sagte er, und seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
»Das dachte ich mir. Nun, glaubt es mir, es ist so. Er ist sehr stolz auf Euch … stolzer, glaube ich, als ich selbst auf meine Söhne bin, so sehr ich ihnen auch zugetan bin. Doch wie es Väter an sich haben, wird der Eure ebenso vermutlich der ganzen Welt von seinem Stolz erzählen und nicht auf den Gedanken kommen, Euch gegenüber etwas davon zu erwähnen. Er wird davon ausgehen, dass Ihr es wisst, da Ihr sein Sohn seid und ihm daher so sehr ähnelt –«
Er hielt abrupt inne, um Hugh scharf anzusehen.
»Ihr seid doch schon einmal hier unten gewesen, oder?«
Sie standen am oberen Ende der breiten Marmortreppe, die als Spirale aus dem Stockwerk über ihnen in das darunterliegende führte, und Hugh nickte. Er wusste, dass sich das »hier unten« auf ihr Ziel bezog.
»Aye, Mylord«, sagte er. »Zweimal.«
»Zweimal, natürlich. Hätte ich nachgedacht, hätte ich das gewusst. Dann kommt, auf zum dritten Mal.«
Der Hüne betrat die Treppe nach unten, und Hugh folgte eine Stufe hinter ihm. Er konnte es immer noch nicht glauben, dass er mit Sir Stephen St. Clair unterwegs war, sich mit ihm unterhielt, und dass der große Ritter ihn nach ihrer kurzen Begegnung vor zwei Jahren wiedererkannt hatte – eine Zeitspanne, in deren Verlauf sich Hughs Körpergröße beinahe verdoppelt hatte. Es spielte keine Rolle, dass sie Pate und Patensohn waren, denn St. Clair, einer der berühmtesten Ritter der ganzen Christenheit, hatte viele Patensöhne, und der junge Hugh de Payens war zwar nominell ebenfalls ein Ritter, doch seit man ihn vor zwei Jahren zum Ritter geschlagen hatte, hatte er nichts vollbracht, was ihn von seinesgleichen unterschieden hätte oder ihn berühmt gemacht hätte.
Genauso wenig spielte es eine Rolle, so glaubte Hugh, dass Sir Stephen ausdrücklich nach Payens gekommen war, um bei der bevorstehenden Weihe – was auch immer das sein mochte – als Hughs Gönner aufzutreten. Er wusste, dass der große Ritter auch so gekommen wäre, einfach nur, weil er es wünschte. Er und Hughs Vater, Hugo, Baron de Payens, waren seit ihrer Kinderzeit enge Freunde – eine jener seltenen, wahren Freundschaften, die einzigartig sind, weil ihnen keine geografische oder zeitliche Trennung etwas anhaben kann. Demzufolge versäumten sie keine Gelegenheit, sich zu sehen.
Ihre letzte Begegnung hatte vor zwei Jahren stattgefunden, als Sir Stephen unerwartet in Payens eingetroffen war. Er war in Begleitung seines Lehnsherrn gewesen, der früher unter dem Namen William der Bastard bekannt gewesen war, danach jedoch Herzog der Normandie und William I., König von England geworden war. Die beiden großen Männer waren auf dem Heimweg aus der Normandie gewesen und hatten ausnahmsweise etwas Zeit für sich gehabt. Der König hatte den Wunsch geäußert, Sir Stephens Familie in Anjou zu besuchen. Ihr Weg hatte sie dicht an Payens vorübergeführt, und so hatte Sir Stephen den König von England zu einem Besuch bei seinem Freund, dem Baron von Payens, mitgebracht. Diese beiden Männer waren sich
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