Der Schatz des Blutes
links auf Schulterhöhe aus, und der leichte Stoff seines Umhangs blähte sich hinter ihm, sodass es beinahe so wirkte, als schwebte er die Treppe hinunter, und Hugh den großen Mann zum zweiten Mal innerhalb weniger Minuten des Humors verdächtigte.
»… und auch keine Notwendigkeit dafür«, fuhr St. Clair fort, »obwohl ich das kaum glauben kann, und wenn ich noch so sehr weiß, dass es wahr ist.«
Er brach plötzlich ab und ließ die Arme wieder sinken. Als er dann weitersprach, war jede Spur von Leichtigkeit aus seiner Stimme verschwunden.
»Ich glaube, ich könnte mich nie daran gewöhnen, keine Rüstung zu tragen … und ich werde mich gewiss niemals wohl fühlen, wenn ich keine Waffen trage, nicht einmal hier im Haus Eures Vaters, wo ich genau weiß, dass keine Gefahr besteht … Das ist der Unterschied zwischen Eurem Leben hier, Junge, und dem unseren in England.«
England! Da, mit diesem einen Wort hatte St. Clair sämtliche Rätsel und Sagen zusammengefasst, die sich um seine Person und seinen phänomenalen Heldenmut rankten.
Es zwar zweiundzwanzig Jahre her, dass er zum ersten Mal den Fuß auf englischen Boden gesetzt hatte, gemeinsam mit Hughs Vater Hugo. Als junge, unerprobte Ritter waren sie im September 1066 mit Williams Invasionsarmee an der Südküste der Insel gelandet. Beide waren sie damals in Hughs Alter gewesen, und in der großen Schlacht, die zwei Wochen später, Mitte Oktober, bei Hastings stattgefunden hatte, hatten sie sich beide durch ihr ehrenhaftes Verhalten hervorgetan.
Sir Stephen St. Clair hatte bei dieser Gelegenheit mehr vollbracht als sonst einer seiner Kameraden, denn es war sein Schwert gewesen, das an jenem Tag den englischen König Harold Godwinson niedergestreckt und getötet hatte.
Er hatte weder den Namen noch den Rang des Mannes gekannt, den er getötet hatte – in der Hitze des Gefechts hatte er nur erkannt, dass es sich um eine Gruppe feindlicher Offiziere handelte, und sie angegriffen –, doch sein Alleingang war von Herzog William beobachtet worden, und als man später die Identität des Toten zweifelsfrei festgestellt hatte, hatte der Herzog gewusst, wem er zu danken hatte. Hatte dieser Tod doch dafür gesorgt, dass aus William dem Bastard König William I. von England werden konnte.
Die Soldaten erzählten sich, dass Sir Stephen gezögert hatte, sich den Sieg als sein Verdienst anzurechnen, und hätte der Herzog nicht selbst als Zeuge darauf beharrt, hätte St. Clair auch keine Belohnung angenommen.
Es waren zwei sehr unterschiedliche Armeen gewesen, die sich an jenem Tag in der Schlacht gegenübertraten. Herzog Williams Heer bestand zum Großteil aus schwerer normannischer Kavallerie, der man nachsagte, sie sei die beste der christlichen Welt, mit der Rückendeckung unzähliger Bogenschützen – während die englische Armee eine hoch disziplinierte Infantrietruppe war, die ebenfalls als die beste der Welt galt.
Doch bei den Engländern hatten nur die Anführer und hohen Offiziere zu Pferd gesessen, wodurch sie leicht auszumachen waren – was St. Clair ja dann gelungen war. Die feindlichen Offiziere hatten sich dicht umeinander gedrängt, um seinen Angriff abzuwehren, aber nach seinem ersten Ein-Mann-Vorstoß hatte sein massiges Schlachtross ihre viel kleineren Pferde in alle Richtungen auseinandergetrieben. Doch eine Schwadron normannischer Bogenschützen hatte sie bereits bemerkt, und einer ihrer Pfeile hatte einen englischen Ritter ins Gesicht getroffen. Waffenlos und unter Schock hatte er schwankend im Sattel gesessen, als St. Clair in ihre Mitte donnerte. St. Clair hatte den hilflosen Mann gesehen und ihm im Vorbeireiten einen Schwerthieb versetzt, sodass er in den Tod stürzte.
Später war es zwar unklar, doch es wurde auch nicht für wichtig befunden, ob der Tote – der englische König Harold Godwinson – durch den Pfeil oder den Schwerthieb umgekommen war. Wichtig war, dass sein Tod, egal durch welche Ursache, seiner Armee das Herz geraubt und dazu geführt hatte, dass Britannien zum ersten Mal seit Hunderten von Jahren durch eine feindliche Invasion erobert wurde.
In den folgenden zwei Jahrzehnten normannischer Besetzung und Besiedelung im durch und durch feindseligen England hatte sich Sir Stephen St. Clair als einer der tatkräftigsten und loyalsten Anhänger des Königs erwiesen. Für diese Dienste war er ebenso beständig wie königlich entlohnt worden, sodass er jetzt mehrere große Anwesen in unterschiedlichen Gegenden des eroberten
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