Der Schatz des Blutes
Irgendetwas an St. Clairs Verhalten signalisierte ihm, dass das Thema ernster war als erwartet, und auch sein Verhalten änderte sich. Er richtete sich im Sattel auf und nickte.
»Das klingt ernst, mein Freund. Erzähle es mir.«
St. Clair sah seinen Kameraden an.
»Ich habe ihn gefragt, was er glaubt, wie lange es dauern wird, bis unsere Entdeckung eine Wirkung zeigt. Bis die Veränderungen, die wir in Bewegung gesetzt haben, spürbar werden. Zuerst hat er gar nichts gesagt und mir nur einen Blick zugeworfen, über den ich am liebsten gelacht hätte. Doch dann hat er mich beiseitegezogen, und wir haben uns lange ungestört unterhalten. Nun ja, meistens hat er geredet, und ich habe zugehört. Und ich war … schockiert ist wohl das richtige Wort … über das, was er zu sagen hatte.«
»Stephen, du machst mich ungeduldig. Was hat der Mann gesagt?«
»Dass sich gar nichts verändern wird. Es wird überhaupt nichts geschehen.«
Montdidier runzelte die Stirn.
»Aber das ist absolut lächerlich. Die Dinge müssen sich jetzt ändern. Wir haben den Beweis dafür, dass sie geändert werden müssen, dass die ganze Kirche auf Lügen aufgebaut ist. Wie kann de Payens behaupten, dass sich nichts ändern wird?«
»Er hat gesagt, dass die Kirchenführer sich von unserer Entdeckung nicht in die Knie zwingen lassen werden. Wenn möglich, wird man sie ignorieren; wenn nicht, werden sie sie leugnen und das ganze Gewicht ihrer langen Geschichte und ihrer weltlichen Autorität benutzen, um sich durchzusetzen. Wer dieser Verleugnung etwas entgegenzubringen versucht, dem wird es schlimm ergehen.«
»Was meinst du damit?«
»Was glaubst du denn, was ich meine, Payn? Wir haben eine Kirche, die sich als universell betrachtet und die seit den Tagen Konstantins des Großen in Rom zu Hause ist. Deren Fürsten ignorieren munter ihre eigenen Anfänge, die sie im Bann der kaiserlichen Reichtümer rasch vergessen haben – jene Anfänge, zu denen die stolze Proklamation gehörte, dass eher ein Kamel durch ein Nadelöhr geht als ein Reicher in den Himmel. Wenn unsere Entdeckung an die Öffentlichkeit gelangen würde, müssten die Kirchenoberen ihre Irrtümer eingestehen und ihre Reichtümer und Privilegien aufgeben. Das wäre das Mindeste, was geschehen würde. Die Enthüllung dieses Wissens würde die Kirche vernichten.«
»Nun, ich glaube kaum, dass es so weit gehen würde …«
»Ach wirklich? Glaubst du nicht, dass die Menschen in Rage geraten würden, wenn sie feststellen müssen, dass sie vergeblich in Armut gelebt haben? Dass sie zu Huntertausenden Hunger gelitten haben, weil sie ihren Besitz der Kirche gegeben haben, und zwar nicht zur Ehre Gottes, sondern zum Wohlergehen eines Haufens fauler Kirchenmänner? Meinst du nicht, dass es zu Blutvergießen kommen könnte, wenn die Leute den Beweis dafür sehen, dass die Kirche sie und ihre Familien über Jahrhunderte ausgebeutet hat?«
»Aber …«
»Aber diese Kirchenmänner sind alle nur Menschen – es findet sich nicht ein einziger Gott oder Heiliger unter ihnen. Und weil das nur menschlich ist, werden sie alles tun, um sich und ihr Vermögen zu schützen. Wenn wir alle morgen vom Antlitz der Erde verschwinden, wäre das nicht das erste Mal, dass so etwas geschieht. Schließlich sind die Erzbischöfe und Kardinäle sehr stolz darauf, dass sie Gottes Stellvertreter sind. Sie sind das Ohr Gottes, und sie werden ihr Recht, Sein Wort und Sein Urteil zu verkünden, mit aller Macht verteidigen.«
»Du meinst also, sie würden uns alle auslöschen?«
»Aye, natürlich. Wie die Fliegen.«
Sie ritten ein Stück weit schweigend dahin und hörten nur die Geräusche der Pferdehufe und das Knarzen des Sattelleders. Schließlich fragte Montdidier: »Und was hat Hugh gesagt?«
»Dass wir Verbündete und Mittel haben. Wir sind nicht völlig machtlos. Dass unsere Wurzeln weiter und tiefer reichen als die der christlichen Kirche. Dass wir im Gegensatz zu allen anderen Zugang zu schriftlichen Beweisen für unsere Behauptungen haben. Dass es uns gelingen wird, unsere Quellen – und unseren Schatz – sicher versteckt zu halten. Und dass wir nicht so dumm sind, blauäugig ins Verderben zu rennen.«
St. Clair holte Luft.
»Er hat gesagt, dass wir siegen werden, aber nicht so, wie du oder ich uns das vorstellen. Schließlich hat er mich um Geduld gebeten und darum, mich und euch auf große Veränderungen in der Welt vorzubereiten – Veränderungen, so sagte er, die so unvorstellbar sind, dass
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