Der Schatz des Dschingis Khan
genau zu wissen, was er zu tun hatte und wohin er gehen musste. Muriel seufzte, bedrängte Ascalon aber nicht weiter und überließ ihm die Führung.
Als glutroter Ball sank die Sonne hinter die Hügel und nahm die Wärme mit sich fort. Mit dem schwindenden Licht kam auch die Müdigkeit. Der Schlafmangel der vergangenen Nacht und die Strapazen des langen Rittes forderten immer nachdrücklicher ihren Tribut. Muriel gähnte immer wieder und erwischte sich zwei Mal selbst dabei, im Sitzen eingeschlafen zu sein.
Fröstelnd setzte sie sich auf und schaute sich um, in der Hoffnung, irgendwo den Schein eines Lagerfeuers zu entdecken. Doch vergeblich. Unter den funkelnden Sternen, die immer zahlreicher am Himmel erschienen, lag die Steppe so einsam vor ihnen, als wären sie und Ascalon die einzigen Lebewesen von hier bis zum Horizont.
»Was ist los?«, fragte Muriel. Sie war müde, hungrig und fror. Sie wünschte sich nichts sehnlicher, als einen Platz zum Schlafen an einem warmen Feuer und etwas zu essen. Ascalon schien es nicht viel besser zu ergehen. Auch er wirkte erschöpft. Längst war er vom Trab in den Schritt gefallen und ließ den Kopf hängen. Dass Ascalon ebenso wie sie unter Kälte und Hunger litt, tröstete Muriel wenig. Sie hatte geglaubt, dass er den Weg kannte – ein Fehler, wie sich nun herausstellte.
Der Mond ging auf. Rund und voll erhob er sein Antlitz über die schneebedeckten Hügel der mongolischen Steppe.
Ganz in der Nähe heulte ein Wolf.
Der lang gezogene Ton fuhr Muriel durch Mark und Bein. Ihr Herz raste. Schlagartig war sie hellwach. Ascalon hob den Kopf und spitzte die Ohren. Muriel sah, wie er sie wachsam in alle Richtungen drehte und lauschte.
Ein zweiter Wolf heulte.
Diesmal vor ihnen.
Ein Dritter stimmte hinter ihnen mit ein.
Als ein vierter Wolf zu ihrer Linken sein schauerliches Heulen erklingen ließ, hatte Muriel schon fast damit gerechnet. Es gehörte nicht viel dazu, um zu erkennen, dass sie umzingelt waren – allein, unbewaffnet und erschöpft, genau die richtige Beute für ein Rudel hungriger Wölfe.
Umzingelt
Für gewöhnlich fühlte Muriel sich sicher, wenn sie auf Ascalons Rücken saß. Seine wirbelnden Hufe konnten zu furchtbaren Waffen werden und oft genügte ein scharfer Ritt, um sie aus einer Gefahrenzone zu bringen. Diesmal jedoch verspürte sie alles andere als Zuversicht. Es war Nacht, die Steppe endlos und einsam. Weit und breit gab es keinen Hinweis auf Menschen, nirgends einen Ort, der ihnen Schutz hätte bieten können. Sie hatte nichts, womit sie sich verteidigen konnte, und Ascalon würde eine Flucht nach dem heutigen Ritt nicht lange durchhalten.
Im Mondlicht sah sie die Wölfe näher kommen. Vier … sieben … neun dunkle Umrisse auf weißem Schnee. Und es wurden immer mehr. Irgendwann gab Muriel es auf, die Wölfe zu zählen. Das Rudel musste inzwischen mehr als dreißig Tiere umfassen. Genug, um es mit einem wild gewordenen Yak aufzunehmen. Die Wölfe begleiteten sie wie eine Eskorte. Sie waren vor, hinter und neben ihnen – einfach überall. Abwartend und lauernd. Muriel sah ihre Augen aufblitzen. Sie griffen nicht an – noch nicht. Sie hatten ihre Beute eingekreist und alle Zeit der Welt.
In einem Film über Wölfe hatte Muriel erfahren, dass die klugen Tiere bis zu vierzehn Tage ohne Nahrung auskommen konnten. Dort war auch gesagt worden, dass Wolfsrudel oft tagelang mit der Herde der Beutetiere ziehen, um bei einer günstigen Gelegenheit zuzuschlagen.
Eine günstige Gelegenheit … Muriel schaute sich furchtsam um. Es hatte tatsächlich den Anschein, als würden die Wölfe auf eine solche warten. Ascalon war ihnen fremd. Ein so großes Pferd hatten sie sicher noch nie gesehen. Vermutlich versuchten sie herauszufinden, ob er für sie eine Gefahr darstellte, ehe sie einen Angriff wagten. Dass dieser nicht erst in ein paar Tagen erfolgen würde, daran zweifelte Muriel nicht.
Sie hatte den Gedanken noch nicht zu Ende geführt, als sich zwei der Wölfe aus dem Rudel lösten und im schnellen Sprint zu ihnen aufschlossen. Ascalon sah sie kommen und spurtete los. Aber der Angriff war wohl nur eine Finte, denn die Wölfe fielen schon nach einer kurzen Strecke zurück und gesellten sich wieder zu den anderen.
Sie wollen bestimmt herausfinden, wie viel Kraft Ascalon noch hat, überlegte Muriel. Zu jeder anderen Zeit hätte sie die Intelligenz der Tiere bewundert, aber die Angst vor den Wölfen war zu groß.
Ascalon schien ihre Furcht nicht zu
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