Der Schatz des Dschingis Khan
weiterziehen.« Ein Schatten huschte über ihr Gesicht und sie fragte: »Du wirst nicht bei uns bleiben – oder?«
»Ich kann nicht.« Muriel schüttelte den Kopf. »Du weißt doch, ich habe eine Aufgabe zu erfüllen. Ich bin dir und deiner Familie sehr dankbar, dass ihr mich bei euch aufgenommen habt. Ihr habt mir das Leben gerettet. Das werde ich euch nie vergessen, aber ich muss weiter.«
»Schade.« Toja machte ein trauriges Gesicht, dann hellte sich ihre Miene auf. »Meine Mutter hat gesagt, dass sie dich nicht gehen lässt, bevor wir gegessen haben. Es gibt Khailmag*.«
»Das ist sehr freundlich.« Muriel warf einen misstrauischen Blick zum Feuer hinüber, über dem nun statt des Kessels eine große Pfanne stand, und fragte sich, welche mongolische Delikatesse sich wohl diesmal hinter dem seltsamen Namen verbergen mochte. Da sie aber Hunger hatte, widersprach sie nicht und schälte sich unter den Fellen hervor, um den Tag zu beginnen.
Diesmal bereute sie ihre Entscheidung nicht. Khailmag entpuppte sich als ein karamellisierter Brei aus eingedickter Sahne, die in einer Pfanne erhitzt wurde. Eine breiige Creme, die süß und sehr lecker schmeckte.
»Das ist wirklich gut«, lobte Muriel und sie meinte es ernst. Der noch warme Brei vertrieb die Kälte aus ihren Gliedern und sättigte so sehr, dass sie schon nach einer Schüssel davon überzeugt war, bis zum Abend keinen Bissen mehr hinunterzubekommen.
Nach dem Essen wurde es Zeit, Abschied zu nehmen. Toja hatte ihr erzählt, dass ihre Familie das Ger abbauen und weiterziehen würde. Bis es so weit war, würde allerdings noch einige Zeit vergehen. Alle hatten Verständnis dafür, dass Muriel nicht warten und sich lieber sofort auf den Weg machen wollte, um dem Großen Khan das prächtige Pferd zu überbringen. Und so verabschiedete sich Muriel nach dem morgendlichen Mahl alsbald von ihren Gastgebern. Nachdem sie sich angekleidet hatte, bedankte sie sich bei ihnen für das Essen und die Unterkunft und wünschte ihnen eine gute Reise.
»Warte, ich begleite dich noch ein Stück.« Toja kam angelaufen, als Muriel sich anschickte, das Ger zu verlassen. Sie schnappte sich einen Korb und trat hinter Muriel durch den Zeiteingang ins Freie. Die Sonne stand hoch am Himmel, der so strahlend blau war, wie Muriel es noch nie gesehen hatte. Nach dem langen Aufenthalt im schattigen Ger schmerzte Muriel das grelle Sonnenlicht, das vom Schnee noch reflektiert wurde, in den Augen. Sie blieb stehen, kniff die Lider fest zusammen und wartete ein paar Sekunden, bis sie es wagte, die Augen vorsichtig wieder zu öffnen.
»Schön, nicht?« Toja strahlte mit der Sonne um die Wette. Zu Recht, wie Muriel zugeben musste. Im Sonnenschein wirkte die Steppe längst nicht mehr so lebensfeindlich und bedrohlich wie zuvor während des Schneesturms. Der blaue Himmel, der funkelnde Schnee und die sanft gewellten Hügel mit den verschneiten Bäumen und Sträuchern erstreckten sich in geradezu malerischer Schönheit so weit das Auge reichte. Die Schafe und Pferde, die rings um das Ger auf der Suche nach Gräsern im Schnee scharrten, fügten sich so harmonisch in das Bild, als hätte ein namenloser Künstler ihre Plätze gewählt. »Ihr habt ja auch Rinder«, stellte Muriel verwundert fest.
»Das sind unsere Yaks.« Toja nickte. »Sie sind sehr kräftig und tragen das Ger, wenn wir reisen.«
»Wirklich?« Muriel war erstaunt. Wie selbstverständlich war sie davon ausgegangen, dass die Mongolen ihre Pferde als Lasttiere verwendeten. Darauf, dass Yaks, die sie lediglich aus Büchern kannte, einen Großteil der Lasten der Nomaden trugen, wäre sie niemals gekommen. »Ähm … und … was willst du mit dem Korb?«, fragte sie, in der Hoffnung, dass Toja nicht bemerkte, wie wenig sie vom Leben der Mongolen wusste.
»Ich gehe Dung sammeln.«
»Dung?« Muriel glaubte, sich verhört zu haben. Machte Toja Scherze oder wollte sie wirklich Pferde- und Rinderkot einsammeln? »Warum?«
»Damit wir Feuer machen können.« Toja schaute Muriel verwundert an. »Womit entfacht ihr denn bei euch zu Hause ein Feuer?«
»Mit Holz.« Muriel antwortete, ohne lange zu überlegen. Auf die Idee, dass man auch mit etwas anderem als mit Holz ein Feuer machen konnte, wäre sie nie gekommen.
»Dann habt ihr es gut«, hörte sie Toja sagen und sah, wie diese eine ausschweifende Handbewegung vollführte. »Hier gibt es weit und breit keinen Wald, der uns Holz spenden könnte«, sagte sie. »Deshalb sammeln wir den Dung
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