Der Schatz des Dschingis Khan
funkelnden Augen. Hungrig und blutrünstig. Ascalon begann zu tänzeln und sich im Kreis zu drehen. Er schien zu wissen, dass die Wölfe ihn zuerst von hinten angreifen würden, und versuchte sie zu verwirren. Muriel konnte den Blick nicht von den Wölfen abwenden. Es war wie in einem furchtbaren Albtraum, nur dass sie sich hier nicht fortstehlen konnte, indem sie erwachte. Ihr Kopf war wie leer gefegt, im Angesicht des Todes spürte sie nicht einmal mehr Angst. Ihr Verstand weigerte sich, die Lage als real anzuerkennen.
Bis zu dem Augenblick, als der erste Wolf zum Angriff überging, klammerte sich ein Teil von ihr verzweifelt an die Hoffnung, dass alles nur ein böser Traum war, während der andere Teil nicht minder heftig daran glaubte, dass die Schicksalsgöttin ihnen zu Hilfe eilen würde.
Beide Hoffnungen zerplatzen unter dem Ansturm der Wölfe wie Seifenblasen. Ascalon stieg mit wirbelnden Hufen und trat heftig nach hinten aus, doch immer, wenn er zwei Angreifer abgeschüttelt hatte, nahten schon neue heran, die mit ihren Pranken nach ihm schlugen und mit geifernden Zähnen nach ihm schnappten.
Muriel hatte alle Mühe, sich auf Ascalons Rücken zu halten. Es gab nichts, was sie tun konnte. Außer hoffen und …
Ein schrilles Jaulen ganz in der Nähe ließ sie aufhorchen. Sie wandte sich um, konnte in der Dunkelheit aber nicht viel mehr erkennen als eine wogende Masse schwarzgrauer Leiber, die nachdrücklich ihren Anteil an der vermeintlichen Beute verlangten. Dem ersten folgten weitere Schmerzenslaute.
Immer öfter brachen einzelne Wölfe zusammen und blieben reglos auf der harten Erde liegen.
Muriel war verwirrt. Was ging hier vor? Insgeheim verfluchte sie die Nacht und den Mond, der sich schon wieder hinter Wolken verkrochen hatte.
Etwas surrte an ihrem Kopf vorbei und verfehlte sie nur knapp.
Ein Pfeil? Das konnte nicht sein. Nun spielten ihr ihre Sinne auch schon einen Streich. Hier gab es weit und breit niemanden, der Pfeile … Muriel führte den Gedanken nicht zu Ende, als sie jenseits des Wolfsrudels Gestalten entdeckte, die sich ihnen schnell näherten.
Reiter!
Ein Strahl silbernen Mondlichts flutete durch eine Wolkenlücke und räumte auch die letzten Zweifel aus. Eine Gruppe von acht oder zehn Reitern auf kleinen Pferden preschte in halsbrecherischem Galopp heran. Ohne sich festzuhalten, feuerten sie mit ihren kurzen Bögen mitten in das Wolfsrudel hinein. Muriel war schwer beeindruckt, nicht nur, weil die Mongolen freihändig im Galopp ritten, sondern auch, weil nahezu jeder Pfeil sein Ziel traf. Als die Gruppe das Rudel fast erreicht hatte, teilte sie sich wie auf ein geheimes Kommando hin. Fünf Reiter wählten die rechte, vier die linke Flanke. All das geschah ohne Zurufe und ohne auch nur ein einziges Mal den Beschuss zu unterbrechen. In vollem Galopp preschten die Reiter an Muriel vorbei und begannen das Wolfsrudel zu umkreisen. Dabei schossen sie ihre Pfeile nicht nur nach vorn oder zur Seite, sondern auch, wie Muriel bewundernd bemerkte, wie selbstverständlich nach hinten, ohne dabei an Treffsicherheit zu verlieren.
Immer mehr Wölfe brachen aufjaulend zusammen, während die anderen allmählich von Ascalon abließen, um sich dem neuen Feind zuzuwenden oder – wie Muriel im Mondlicht vereinzelt erkennen konnte – die Flucht zu ergreifen.
Dann war es vorbei.
Der Mond tauchte vollständig hinter den Wolken auf, als hätte er sich entschieden, den mutigen Reitern Licht zu spenden, während diese ihre Pferde zügelten und sie zwischen den Leibern der getöteten Wölfe hindurch auf Ascalon zulenkten. Ein letzter Wolf suchte fluchtartig das Weite und wurde mitten im Lauf von einem Pfeil niedergestreckt, den einer der Reiter ihm nachsandte. Dann kehrte Ruhe ein.
Muriel schluckte trocken, als sie die vermummten dunklen Gestalten auf sich zukommen sah. Die Reiter hatten ihr das Leben gerettet und sie wollte gerne glauben, dass sie ihr freundlich gesonnen waren. Ganz sicher war sie sich dessen aber nicht.
»Hooe! Tschamaig hen gedeg ve? – Wie heißt du?«, rief der eine Reiter ihr zu.
»Namaig Ojuna gedeg! – Ich heiße Ojuna.« Muriels Stimme war erschreckend dünn, als sie ihren Namen nannte. Hastig fügte sie hinzu: »Ich … ich danke euch. Ihr habt mir das Leben gerettet.«
»Tschamaig yu end avtschraav? – Was hat dich denn hierher verschlagen?«, wollte der Reiter wissen. Seine Stimme war dunkel und rau und ließ, ähnlich wie bei Tojas Vater, nicht erkennen, ob ein
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