Der Schatz des Dschingis Khan
erinnern, aber das war nach den Ereignissen der vergangenen Tage auch kein Wunder.
»Der soll wirklich gut sein. Tolle Landschaftsbilder, viel Action und eine kleine Liebesgeschichte. Also mich würde es schon interessieren, wie die Mongolen damals gelebt haben. Sie sollen ja hervorragende Reiter gewesen sein.«
Muriel zögerte.
»Na komm schon.« Nadine knuffte sie mit dem Ellbogen. »Wir müssen auch nicht mit dem Fahrrad nach Willenberg fahren. Meine Mutter hat gesagt, sie fährt uns hin und holt uns auch wieder ab.«
»Also gut.« Muriel nickte. »Ich komme mit.«
»Klasse.« Nadine schnappte sich ihr Fahrrad. »Wir holen dich gegen halb fünf ab.« Sie wollte gerade losradeln, hielt dann aber noch einmal inne. »Sag mal, meinst du, dass meine Eltern den Einsatz der Feuerwehr bezahlen müssen?«, fragte sie besorgt.
»Keine Ahnung.« Muriel schüttelte den Kopf. »Ihr könnt ja nichts dafür, dass Fanny abgehauen ist. Da müsste schon eher meine Mutter bezahlen, weil der Zaun zu niedrig war.«
»Stimmt auch.« Nadine überlegte kurz. »Ach was, das kriegen die Erwachsenen schon hin«, sagte sie schließlich und fuhr los. »Hauptsache, meiner Fanny geht es wieder gut.«
»Isländer, Haflinger und deutsche Reitponys!« Muriel griff nach dem Popcorn und stopfte sich eine Handvoll in den Mund. »Fie haben efft keine Ahnung«, sagte sie kauend.
»Wie meinst du das?«, fragte Nadine.
Muriel schluckte das Popcorn hinunter und sagte: »Die Mongolen sind auf ganz anderen Pferden geritten. Die waren viel kleiner und hässlicher als unsere heutigen Pferde.«
»Woher weißt du das?«
»Der Film hat mich neugierig gemacht. Da habe ich vorhin ein wenig im Internet gestöbert und mich über die Mongolen informiert«, flunkerte Muriel. »Über die Steppenpferde findet man da auch ganz viel. Gib mal in der Suchmaschine mongolische Steppenpferde ein, da findest du mehr als 350 Einträge.«
»Jetzt sei doch nicht so kleinlich.« Nadine seufzte. »Genieß lieber den Film. Ist doch toll, wie die reiten können.«
»Auf den richtigen Pferden würde das noch viel besser aussehen«, bemerkte Muriel. »Die sind viel wendiger und …«
»Jaha, aber vielleicht hatten sie gerade keine zur Hand. Was weiß ich. Ist doch auch ega...«
»Schscht!« Eine Stimme aus dem Dunkel vor ihnen ließ Nadine verstummen.
Muriel wandte sich wieder dem Popcorn zu, nach dem vielen Hammelfleisch der letzten Tage schmeckte es geradezu köstlich. Genießen konnte sie den Film allerdings nicht. Es waren viel zu viele Fehler drin, über die sie sich ärgerte.
»... die Frau hat vor der Mahlzeit keine Milch verspritzt, um den Göttern für das Essen zu danken«, ereiferte sie sich nach dem Film, während sie mit Nadine auf deren Mutter wartete. »Und die Pferde hatten alle Namen! Hast du das gemerkt? Dabei haben die Mongolen ihren Pferden gar keine Namen gegeben. Die Sättel waren früher aus Holz und nicht aus Leder und die Pferde durften auch nicht einfach so herumstehen. Sie wurden nachts gefesselt und angebunden, damit sie nicht fortlaufen konnten. Und dann die Aufteilung der Rundzelte. Das stimmte vorn und hinten nicht. Die waren nämlich …«
»Sag mal, spinnst du jetzt völlig?« Nadine warf Muriel einen Blick zu, als würde sie ihre beste Freundin für übergeschnappt halten. »Wenn du alles so genau weißt, solltest du dich vielleicht als Beraterin für Mongolenfilme bei der Produktionsgesellschaft bewerben. Da kannst du dein fulminantes Fachwissen dann einbringen. Aber verschon mich bitte damit. Mir hat der Film nämlich auch mit den falschen Pferden und falschen Sätteln und ohne diese dämlichen Rituale gut gefallen.«
Muriel sagte nichts. Sie wusste, dass Nadine recht hatte, und nahm sich vor, nicht mehr zu meckern. Der Film war schließlich kein wissenschaftlicher Beitrag über das Leben der Mongolen gewesen. Er sollte unterhalten und das hatte er ja auch getan. Wären ihre Erinnerungen nicht so frisch gewesen, wären ihr viele der Ungereimtheiten vielleicht gar nicht aufgefallen. Trotzdem wollte sie es nicht auf sich beruhen lassen. Die Leute der Filmgesellschaft sollten ruhig wissen, dass nicht jeder Kinobesucher sich kritiklos berieseln ließ.
Und während sie zu Nadines Mutter in den Wagen stieg, fasste sie den Entschluss, der Filmgesellschaft noch am selben Abend eine lange E-Mail zu schreiben und ihnen mitzuteilen, wie es damals bei den Mongolen wirklich war.
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