Der Schatz des Dschingis Khan
Fahrrad nehmen.
Muriel seufzte und rieb die Wange noch einmal an Ascalons warmem Fell. Dann stapfte sie über die Wiese zu ihrem Fahrrad und machte sich zum zweiten Mal an diesem Morgen auf den Weg zur Schule.
»Mensch, Muriel, wo warst du denn so lange?« Nadine verbrachte die Pause zwischen Geschichte und Latein im Klassenraum. Als sie Muriel eintreten sah, legte sie ihr Salamibrot aus der Hand, kam auf ihre Freundin zu und stutzte. »Geht es dir gut?«, fragte sie besorgt. »Du siehst so mitgenommen aus. Ist etwas passiert?«
»Nein … ja … doch schon.« Muriel ging zu ihrem Platz und legte ihren Rucksack auf den Tisch. »Ziemlich viel sogar.« Sie seufzte und versuchte sich daran zu erinnern, wie Fannys Rettung abgelaufen war. Seit sie auf dem Weg zur Schule umgekehrt war, waren hier nur knappe zwei Stunden vergangen, während sie selbst inzwischen viele Tage bei den Mongolen verbracht hatte. Fannys Ausflug aufs Eis und dessen Folgen erschienen für sie unendlich weit entfernt, andererseits boten die Ereignisse einen guten Vorwand dafür, ihre Zerstreutheit zu erklären. »Fanny ist auf den See hinausgelaufen und im Eis eingebrochen«, sagte sie knapp.
»Fanny?« Nadine wurde im Gesicht so weiß wie die Tafelkreide. »O mein Gott. Was … was ist mit ihr? Ist sie …?«
»Keine Sorge, es geht ihr gut.« Muriel lächelte. Sie schämte sich ein wenig, weil sie ihrer Freundin mit den knappen Worten einen solchen Schrecken eingejagt hatte. »Die Feuerwehr hat sie aus dem Wasser gezogen. Jetzt kümmert sich Andrea um sie.«
Nadine atmete hörbar auf. Die Blässe hingegen wich nur langsam aus ihrem Gesicht. »Wie ist das passiert? Wer hat sie gefunden? Wie hat die Feuerwehr sie da rausgeholt? Was ist …?«
Das Klingeln unterbrach ihre Fragen. Muriel nutzte die Gelegenheit, um zu antworten. »Sie war wohl neugierig und hat sich zu weit aufs Eis gewagt. Der Zaun war eingefroren und konnte sie nicht aufhalten. Ein paar Meter vom Ufer entfernt ist sie dann eingebrochen. Ich wollte kurz nach Ascalon sehen und habe sie zufällig entdeckt. Mit den Hufen hatte sie schon ein großes Loch ins Eis gebrochen, kam aber alleine nicht raus. Ich habe dann mit meinem Handy die Feuerwehr gerufen und die haben sie dann …«
»Es wäre wirklich nett, wenn Muriel und Nadine sich jetzt auch auf den Unterricht konzentrieren würden«, mischte sich Frau Büchners Stimme in Muriels Redefluss. »Nichts ist so dringend, dass ihr es nicht auch in der nächsten Pause besprechen könnt.«
Nadine setzte zu einer entrüsteten Antwort an, aber ein mahnender Seitenhieb von Muriel erstickte diese noch im Keim. Während Frau Büchner sich mit den Worten »Gut, dann können wir ja jetzt endlich anfangen« zur Tafel drehte, flüsterte Muriel Nadine schnell zu: »Fanny geht es gut, wirklich.«
In den folgenden vier Schulstunden war mit Nadine nicht allzu viel anzufangen. Obwohl Muriel ihr in der großen Pause alles haarklein erzählte, geduldig alle Fragen beantwortete und immer wieder betonte, dass es Fanny an nichts fehlte, gelang es ihr nicht, Nadine zu beruhigen. Auch nachdem Nadine Andrea über ihr Handy angerufen hatte und diese ihr noch einmal bestätigte, dass Fanny wohlauf war, wurde Nadine nicht ruhiger. Die Sorge um ihre geliebte Connemarastute war so groß, dass sie dem Unterricht kaum folgen konnte. Muriel kam das ganz gelegen. So fiel Nadine nicht auf, wie abwesend sie war, und wenn eine Lehrerin sie auf ihre mangelhafte Beteiligung ansprach, hatte Nadine immer die passende Erklärung parat.
Nach Schulschluss bestand Nadine darauf, Muriel und Vivien zum Birkenhof zu begleiten, um nach Fanny zu sehen. Unterwegs musste Muriel Vivien die ganze Geschichte noch einmal erzählen, worauf diese beleidigt anmerkte, dass immer nur dann etwas Spannendes passieren würde, wenn sie nicht dabei war.
Nachdem Nadine Fanny im Stall besucht und sich davon überzeugt hatte, dass es ihr wirklich gut ging, fühlte sie sich besser. »Was ist nun mit dem Kinobesuch heute Nachmittag? Kommst du mit?«, fragte sie Muriel, als sie den Stall verließen.
Muriel hatte eigentlich keine große Lust, fand aber, dass Nadine die Abwechslung nach all der Aufregung guttun würde. »Gern«, sagte sie. »Was läuft denn?«
» Die Horden des Khan . Du weißt doch, dieser Film über die Mongolen, von dem ich dir erzählt habe.« Nadine lachte. »Mit vielen Pferden.«
»Ach, stimmt ja!« Muriel räusperte sich. Sie konnte sich nicht mehr so genau an das Gespräch
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