Der Schatz des Störtebeker
Unsere Männer wollen Rache, und sie wollen Beute machen.«
»Rache? Wofür?«, murmelte Burchard. Die stand ja wohl eher ihnen beiden als Vertreter der durch die Seeräuber geschädigten Hansestadt zu. Aber konnte man indirekt Rache üben? Er war ja nur ein Abgesandter. Mehr und mehr kam Burchard ins Grübeln und zu der Ansicht, dass er nicht der Richtige war, um über das Schicksal dieser Frau zu entscheiden. Klinger war es aber mit Sicherheit auch nicht.
Mittlerweile waren sie vor ihrem Zelt angelangt. Burchard hätte sich gern an seinen Tisch gesetzt und aufgeschrieben, was passiert war und was ihm durch den Kopf ging. Aber jetzt war wohl nicht der rechte Zeitpunkt.
Plötzlich stand der Hauptmann neben ihnen.
»Die Leute murren«, sagte er.
»Warum?«
»Dieses Mädchen. Sie halten sie für eine Hexe.«
»Wie kommen sie darauf?«
»Sie beschimpft alle, die vorbeikommen, unflätig. Sie hat keine Angst.«
»Wo habt ihr sie hingebracht?«, fragte Burchard.
»An einen Pfahl gebunden.«
»An einen Pfahl? Warum denn das?«
»Als Trophäe.«
Burchard merkte, wie Klinger ihm einen spöttischen Blick zuwarf.
»Schluss damit! Wir sind doch keine Barbaren.«
Burchard ordnete an, dass sie sofort losgebunden und in ein Zelt gebracht wurde. Dort wies man ihr ein Lager mit Decken zu, fesselte sie noch einmal gründlich und kettete sie mit einem Fuß an einen Pflock, den man sehr tief in die Erde hineinschlug.
Als Burchard ins Zelt trat, um nachzusehen, ob die Befehle ordnungsgemäß durchgeführt worden waren, blieb er, kaum dass er einen Fuß hineingesetzt hatte, abrupt stehen, sodass der nachfolgende Klinger gegen seinen Rücken stolperte.
»Wo ist die Brosche?«, rief Burchard zornig aus.
Klinger drehte sich um und zog den Hauptmann ins Zelt.
»Was ist?«, fragte der verwirrt.
»Die Brosche!« Burchard deutete mit der Hand auf die Gefangene, die nicht aufblickte. »Wo ist sie?«
Der Hauptmann wurde blass und nestelte an seinem Gürtel herum.
»Ich… ich… hab sie genommen, weil… für Euch, Herr…«
Burchard riss sie ihm aus der Hand und trat zu der Gefangenen hin, beugte sich nach vorn und steckte ihr ungeschickt die Brosche an das zerfetzte Kleid. »Glaube, Liebe, Hoffnung«, murmelte er dabei, als könne er allein durch das Aussprechen dieser Worte die Barbarin bekehren, die ihn noch immer nicht ansah, sondern trotzig an ihm vorbeistarrte. Als er sie jetzt aus der Nähe musterte, wurde ihm klar, dass sie zwar groß und ungewöhnlich kräftig war, aber kaum älter als sechzehn oder siebzehn Jahre sein konnte. Die Helga, die in seinem Kopf herumspukte, war älter gewesen, vielleicht auch nicht so schön wie dieses Mädchen hier, das gleichermaßen etwas bäuerlich Derbes wie auch einen Hauch von edler Gesinnung ausstrahlte.
Burchard setzte sich auf einen Strohsack und fragte: »Wie heißt du?«
Klinger, der im Eingang stehen geblieben war, seufzte und hockte sich hin. Der Hauptmann verschwand eilig nach draußen.
Die Angesprochene würdigte ihn keines Blickes. Sie saß regungslos da wie eine Statue.
»Du bist eine ten Broke, nicht wahr?«
Ruckartig hob sie den Kopf und sah ihn erstaunt an. Dann starrte sie wieder vor sich hin.
»Wie heißt du? Helga?«
Sie schwieg.
Burchard schüttelte bedächtig den Kopf: »Nein, sicherlich nicht.«
»Vielleicht bist du ihre Tochter?«
Schweigen.
»Das ist auch eher unwahrscheinlich. Ihre Enkelin vielleicht… ja, du musst wohl ihre Enkelin sein. Die Enkelin von Helga ten Broke.«
Sie rührte sich nicht, aber ihre Wangenknochen traten hervor.
»Wer ist Helga ten Broke?«, meldete sich Klinger zu Wort.
»Die Tochter von Keno ten Broke, dem Häuptling. Und die Frau von Klaus Störtebeker, dem Seeräuber. Und dies hier ist wahrscheinlich die Enkelin von Störtebeker.«
»Störtebeker?«
»Der schlimmste Seeräuber, der jemals den Wohlstand unserer Stadt bedrohte. Er wurde mit siebzig seiner Getreuen in Hamburg auf dem Grasbrook hingerichtet. Er war ein Verbündeter von Michael Gödeke.«
»Ja, diesen Namen habe ich schon mal gehört.«
»Mit Freibriefen der Mecklenburger gingen sie auf Kaperfahrt gegen die Dänen. Später dann wurden sie gemeine Räuber in der Nordsee und lauerten unseren Handelsschiffen auf. ›Gottes Freund und aller Welt Feind‹, das war ihr Wahlspruch.«
»Aber wie kommt Ihr darauf, dass dieses Mädchen hier die Enkelin des Seeräubers sein könnte?«
»Die Brosche. Ich war dabei, als Störtebeker sie in Spanien
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