Der Schatz des Störtebeker
für Eure Truppe und eine Blamage für die ganze Hanse!« Klinger war ein Heißsporn, der ständig übertrieb. Damit war er Burchard schon mehr als einmal auf die Nerven gegangen.
»Ihr seid immer willkommen, eine kluge Idee zu äußern«, entgegnete der Offizier unwirsch und fügte boshaft hinzu: »Falls Ihr eine Idee habt.«
Klinger sprang von seinem Lager und baute sich großspurig vor dem Soldaten auf: »Natürlich habe ich eine Idee. Und es wundert mich, dass Ihr, der Ihr das Kriegshandwerk beherrschen solltet, noch nicht darauf gekommen seid.«
Die rechte Hand des Offiziers zuckte zum Schwertknauf. Er verzog wütend das Gesicht: »Noch ein Wort…«
Um Himmels Willen, dachte Burchard, das fehlt mir noch, dass sich der Abgesandte des Rats von einem verbündeten Offizier den Kopf abschlagen lässt. Er sprang von seinem Stuhl auf und stellte sich zwischen die beiden Streithähne.
»Wer mit einer klugen Idee zum Gelingen unseres Unternehmens beitragen kann«, sagte er ruhig, »der sollte sie äußern.«
»Pah, eine kluge Idee«, sagte der Offizier verächtlich.
»Wir holen die beiden Geschütze, die bei der Eroberung von Emden nicht zum Einsatz kamen.«
»Geschütze?«, wunderte sich Burchard.
Der Offizier erstarrte. »Die Bombarden, wenn wir die… aber natürlich…«
»Eine kluge Idee, nicht?«, fragte Klinger selbstgefällig.
»Wir schaffen die Geschütze heran, und dann gnade ihnen Gott!«, rief der Offizier aus und verließ eilig das Zelt.
»Er hätte sich wenigstens bei mir bedanken können«, murrte Klinger.
Dann legte er sich wieder hin, und Burchard wandte sich seinen Aufzeichnungen zu. Er wollte noch einige Formulierungen überdenken. Da er davon ausging, dass sein Bericht als bedeutendes Dokument auch für die Nachwelt von großem Interesse sein würde, war er darauf bedacht, ihn in wohlgesetzten Worten abzufassen.
Klingers kluge Idee sprach sich schnell unter den Söldnern herum. Die sporadischen Angriffe auf den Turm wurden abgebrochen, alle warteten auf die Wunderwaffen, die per Ochsenkarren aus Emden herangeschafft wurden, was über zwei Wochen dauerte. In dieser Zeit regnete es weiterhin viel, und die Soldaten vertrieben sich ihre Langeweile mit groben Scherzen, handfesten Wettkämpfen und Brettspielen.
Jan Burchard, der die öden Zusammenkünfte im Zelt der Offiziere mied und auch wenig Lust verspürte, sich mit dem großspurigen Klinger zu unterhalten, widmete sich intensiv seinen Aufzeichnungen, die er noch einmal vollständig umschrieb.
Schließlich trafen am Abend des Tages, an dem es zum ersten Mal seit einer Ewigkeit nicht geregnet hatte, die Bombarden ein. Die beiden Ochsenkarren, auf denen man sie festgezurrt hatte, waren sofort von zahlreichen Soldaten umringt, man bestaunte die unförmigen kleinen Kanonen und erging sich in Spekulationen, wie sie wohl eingesetzt werden könnten. Klinger erklärte jedem, der es wissen wollte, die Funktionsweise der Vorderlader und zeigte sich begeistert von der Tatsache, dass nicht nur Stein-, sondern auch Eisenkugeln mitgeliefert worden waren.
Die Bombarden wurden die ganze Nacht über von vier schwer bewaffneten Männern bewacht und am nächsten Morgen in Stellung gebracht. Jan Burchard, der sich nur ungern von seinen Aufzeichnungen trennte, betrachtete das Geschehen aus gewisser Distanz, während Klinger, der sich mittlerweile in dem sicheren Glauben wiegte, der einzige Experte für Bombarden zu sein, mitten im Geschehen herumsprang und kurz davor war, das Gesamtkommando zu übernehmen.
Burchard sah abwesend zu und dachte an die sehr persönlichen Aufzeichnungen, die er gerade begonnen hatte. Aus einem seltsamen Gefühl von Ohnmacht und Traurigkeit heraus, das er sich nur durch einen schleichenden Verlust seiner Lebenskraft erklären konnte, hatte er begonnen, sein Leben zu rekapitulieren. Er fühlte sich berufen, seine Lebenserinnerungen schriftlich festzuhalten. Am Vorabend hatte er damit begonnen. Das erste Erlebnis, das er niederschrieb, handelte von seinem Seeräuberabenteuer. In der Nacht hatte er von Marienhafe und Helga ten Broke, der Frau des berüchtigten Störtebeker, geträumt. Es war ein Traum jener Art gewesen, die er schon lange nicht mehr gehabt hatte. Peinlich berührt war er in den frühen Morgenstunden aufgewacht und hatte sich vor sich selbst geschämt. Er hatte die hochgewachsene, breitschultrige Helga damals doch nur ganz kurz und keineswegs nackt gesehen, wie kam es dann nur, dass er sich so gut an sie
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