Der Schatz im Silbersee
hielt das Auge scharf auf die von den Lichtern beschienene Strecke gerichtet.
Zwei Viertelstunden vergingen, und im Osten wurde es hell. Da ließ er die Pfeife ertönen, nicht in kurzen Stößen, sondern in einem langen, endlos scheinenden Brüllen. Er näherte sich der Brücke und wollte die dort wartenden Männer von dem Kommen des Zuges unterrichten.
Diese letzteren standen längst auf ihrem Posten. Kurz vor Mitternacht waren die Dragoner aus Fort Wallace
angekommen; sie hatten sich jetzt auf beiden Seiten des Flusses unter die Brücke postiert, um jeden Tramp, der etwa von oben herab entkommen sollte, da unten festzunehmen. Da, wo die Brücke begann, hielt Winnetou mit den Rafters und Jägern. Jenseits derselben, zu beiden Seiten des Tunneleinganges, standen drei Vierteile der bewaffneten Arbeiter, und am Ausgange des Tunnels wartete der Rest derselben. Bei diesen befand sich der Schichtmeister, welcher die nicht ungefährliche Aufgabe übernommen hatte, im Innern des Tunnels die Lokomotive vom Zuge zu lösen. Als er das Gebrüll der Pfeife hörte, gebot er seinen Leuten: »Das Feuer anbrennen!«
Während diesem Befehle sofort Folge geleistet wurde, indem man den vor dem Tunnelmunde liegenden Holz- und
Kohlenstoß in Brand steckte, trat er selbst in den Tunnel, um, ganz an die Wand desselben gedrückt, den Zug zu erwarten.
Dieser war mit sich vermindernder Kraft und Schnelligkeit über die Brücke gekommen und näherte sich dem Tunnel. Old Firehand sah die dort postierten Leute und rief ihnen zu:
»Hinter uns anbrennen!«
Einen Augenblick später hielt der Zug. Die Lokomotive stand gerade da, wo der Schichtmeister sie erwartet hatte.
»Nur einen Augenblick!«
Bei diesen Worten kroch er zwischen die Maschine und den ersten Wagen, löste die Verbindung zwischen beiden und rannte zum Tunnel hinaus. Die Lokomotive folgte
augenblicklich; die Wagen blieben stehen, und die vorn und hinten brennenden Feuer wurden von den Arbeitern, nachdem man die Geleise schnell durch daraufgelegte Steine geschützt hatte, in die Mitte der Strecke geschoben.
Dies alles war viel schneller geschehen, als es erzählt werden kann, viel zu schnell auch, als daß es den Tramps ebenso rasch möglich gewesen wäre, zu erkennen, in welcher Lage sie sich befanden. Es war ihnen schon während der sausenden Fahrt nicht wohl gewesen. Sie hatten erfahren, daß Old Firehand auf der Maschine stehe, und wußten also, daß ihr Plan vereitelt sei; aber sie waren gewiß, daß sie da, wo der Zug zum Halten kam, selbst wenn dieser Ort eine belebte Station sein sollte, ihre Freiheit wiedererlangen würden. Sie waren gut bewaffnet und ihrer so viele, daß es wohl niemand wagen würde, sie halten zu wollen.
Nun stand der Zug; darauf hatten sie gewartet. Aber als sie aus den Seitenfenstern blickten, starrte ihnen eine unterirdische Dunkelheit entgegen. Denjenigen, welche sich nach der Thür des letzten Wagens drängten, um auszusteigen, war es, als ob sie durch eine enge, finstere Röhre in ein mächtig großes, qualmendes Feuer blickten. Und die von ihnen, welche im vorderen Wagen standen, sahen, daß die Lokomotive verschwunden und an deren Stelle ein brennender
Kohlenhaufen getreten war. Da kam einem von ihnen der richtige Gedanke.
»Ein Tunnel, ein Tunnel!« rief er erschrocken aus, und »ein Tunnel, ein Tunnel!« schrieen ihm die andren nach. »Was ist da zu thun? Wir müssen hinaus!«
Man schob und stieß, so daß diejenigen, welche an den Thüren
- denn nun war auch diejenige des vorderen Wagens passierbar - standen, nicht aussteigen konnten, sondern förmlich hinausgeworfen wurden. Der zweite stürzte auf den ersten, der dritte auf den zweiten und so weiter. Es gab ein Chaos von Körpern, Armen und Beinen, von Schreien, Verwünschungen und Flüchen, und das ging nicht ohne manche Verletzung ab. Es gab sogar welche, die zu den Waffen griffen, um sich derer zu erwehren, welche an ihnen hingen oder auf ihnen lagen.
Und zu der Finsternis, welche von den vorn und hinten am Tunnel brennenden Feuern und den Waggonslampen nicht einmal nur notdürftig erleuchtet wurde, gesellte sich jetzt der dicke, schwere Kohlenqualm, welcher von dem Morgenwinde in den Tunnel getrieben wurde.
»Beim Teufel! Man will uns ersticken!« rief eine kreischende Stimme. »Hinaus, hinaus!«
Zehn, zwanzig. fünfzig, hundert schrieen es ihm nach, und in wahrer Todesangst drängte sich, trieb, schob und stieß sich alles den beiden Ausgängen zu. Aber dort prasselten
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