Der Schatz im Silbersee
soll eure Religion auch keinen Einfluß auf die Bestrafung der Thäter haben.«
Er wendete sich ab und gab mit der Hand ein Zeichen, worauf wohl ein Dutzend Krieger hervortraten. Dann drehte er sich wieder zu Old Shatterhand um und erklärte diesem: »Hier stehen die Anverwandten derer, welche ermordet wurden. Sie haben das Recht, die Strafe zu beginnen.«
»Worin soll dieselbe bestehen?« erkundigte sich der Jäger.
»Aus verschiedenen Qualen. Zuerst wird man mit Messern nach ihnen werfen.«
Wenn bei den Roten ein Feind am Marterpfahle zu sterben hat, so suchen sie die Qualen möglichst zu verlängern. Die ihm beigebrachten Wunden sind erst nur sehr leicht und werden nach und nach schwerer. Gewöhnlich beginnt man mit dem Messerwerfen, welches in der Weise vorgenommen wird, daß hintereinander die verschiedenen Glieder und Körperstellen angegeben werden, welche von den Messern getroffen werden oder in denen dieselben stecken bleiben sollen. Man wählt diese Ziele so aus, daß nicht viel Blut vergossen wird, damit der Gemarterte nicht vorzeitig an Blutverlust stirbt.
»Der rechte Daumen!« gebot der »große Wolf«.
Die Arme der Gefangenen waren in der Weise angebunden, daß die Hände frei hingen. Die hervorgetretenen Roten sonderten sich in zwei Abteilungen, die eine für Hilton und die andre für Knox. Sie nahmen einen Abstand von zwölf Schritten und standen hintereinander. Der Voranstehende nahm sein Messer in die erhobene Rechte, zwischen die ersten drei Finger, zielte, warf und traf den Daumen. Hilton stieß einen Schmerzensschrei aus. Knox wurde auch getroffen, doch war seine Ohnmacht so tief, daß er nicht erwachte.
»Den Zeigefinger«, befahl der Häuptling.
In dieser Weise gab er der Reihe nach die Finger an, welche getroffen werden sollten und auch wirklich mit erstaunlicher Genauigkeit getroffen wurden. Hatte Hilton erst einen einzelnen Schrei ausgestoßen, so brüllte er jetzt unausgesetzt. Knox erwachte erst, als seine linke Hand zum Ziele genommen wurde. Er stierte wie abwesend um sich, schloß dann die blutunterlaufenen Augen wieder und ließ ein ganz unmenschliches Geheul hören. Er hatte gesehen, was man mit ihm begann; das Fieber ergriff ihn wieder, und beides, Delirium und Todesangst, entrissen ihm Laute, für welche man eine menschliche Stimme gar nicht geeignet halten sollte.
Unter dem unausgesetzten Gebrülle beider wurde die Exekution fortgesetzt. Die Messer trafen die Handrücken, Handgelenke, die Muskeln des Unter- und des Oberarmes, und dieselbe Reihenfolge wurde in Beziehung auf die Beine eingehalten. Das währte ungefähr eine Viertelstunde und war der leichte Beginn der Quälung, welche stundenlang dauern sollte. Old Shatterhand und seine drei Gefährten hatten sich abgewendet. Es war ihnen unmöglich, die Scene mit den Augen zu verfolgen. Das Schreien mußten sie über sich ergehen lassen.
Ein Indianer wird von frühester Kindheit an in dem Ertragen körperlicher Schmerzen geübt. Er gelangt dadurch so weit, daß er die größten Qualen ertragen kann, ohne mit der Wimper zu zucken. Vielleicht sind die Nerven des Roten auch weniger empfindlich als diejenigen des Weißen. Wenn der Indianer gefangen wird und am Marterpfahle stirbt, so erträgt er die ihm zugefügten Schmerzen mit lächelndem Munde, singt mit lauter Stimme sein Todeslied und unterbricht dasselbe nur hie und da, um seine Peiniger zu schmähen und zu verlachen. Ein jammernder Mann am Marterpfahle ist bei den Roten eine Unmöglichkeit. Wer über Schmerzen klagt, wird verachtet, und je lauter die Klagen werden, desto größer wird die Verachtung.
Es ist vorgekommen, daß gemarterte Weiße, welche sterben sollten, ihre Freiheit erhielten, weil sie durch ihre unmännlichen Klagen zeigten, daß sie Memmen seien, welche man nicht zu fürchten brauche und deren Tötung für jeden Krieger eine Schande sei.
Man kann sich da denken, welchen Eindruck das Gejammer Knoxens und Hiltons machte. Die Roten wendeten sich ab und ließen Rufe der Entrüstung und Verachtung hören. Als den Verwandten der ermordeten Utahs Genüge geschehen war und nun andre aufgefordert wurden, vorzutreten, und die Peinigung durch ein neues Mittel fortzusetzen, fand sich kein einziger Krieger bereit dazu. Solche »Hunde, Coyoten und Kröten«
wollte niemand berühren. Da erhob sich einer der Häuptlinge und sagte: »Diese Menschen sind nicht wert, daß ein tapferer Krieger Hand an sie legt; das sehen meine roten Brüder doch wohl ein. Wir wollen sie
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