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Der Schatz im Silbersee

Der Schatz im Silbersee

Titel: Der Schatz im Silbersee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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jedem
    Gefangenen saß oder lag ein bewaffneter Wächter. Der Englishman strengte seine Augen an, den Häuptling zu sehen, doch vergebens. Er sah nur, daß einer der Wächter, welcher gesessen hatte, sich jetzt umlegte und zwar mit einer so schnellen Bewegung, als ob er umgefallen sei. Auch die andern drei Wächter bewegten sich, einer nach dem andern, und sonderbarerweise so, daß ihre Köpfe in den Schatten der betreffenden Bäume zu liegen kamen. Dabei war kein Laut, nicht das leiseste Geräusch zu hören gewesen.
    Es verging noch eine kleine Weile und dann sah der Lord plötzlich den Häuptling zwischen sich und Bill am Boden liegen.
    »Nun, fertig?« fragte der letztere.
    »Ja,« antwortete der Rote.
    »Aber deine Osagen sind ja noch gefesselt!« flüsterte der Lord ihm zu.
    »Nein; sie sind nur stehen geblieben, bis ich mit euch gesprochen habe. Mein Messer traf die Wächter mitten in das Herz, und dann habe ich ihnen die Skalps genommen. Jetzt schleiche ich mich wieder hin, um mit meinen roten Brüdern zu den Pferden zu gehen, bei denen sich auch die unsrigen noch befinden. Da alles so gut gegangen ist, werden wir nicht fortgehen, ohne unsre Pferde zu holen.«
    »Warum euch noch in diese Gefahr begeben?« warnte Bill.
    »Mein weißer Bruder irrt sich. Es ist jetzt keine Gefahr mehr vorhanden. Sobald ihr die Osagen von ihren Bäumen verschwinden seht, könnt ihr Euch fortbegeben. Bald werdet ihr das Stampfen der Pferde hören und das Geschrei der Tramps, welche dort wachen. Dann kommen wir zu der Stelle, an welcher wir vorhin abgestiegen sind, howgh!«
    Mit diesem letzten Bekräftigungsworte wollte er andeuten, daß jeder Einwand nutzlos sei, dann war er plötzlich nicht mehr zu sehen. Der Lord fixierte die Gefangenen; sie lehnten steif aufgerichtet an ihren Bäumen, dann waren sie in einem Nu fort, wie in die Erde hinein verschwunden.
    »Wonderful!« flüsterte er dem Buckeligen begeistert zu. »Ganz, wie man es in Romanen gelesen hat!«
    »Hm!« antwortete der Kleine. »Ihr werdet bei uns noch manchen Roman erleben; das Lesen ist freilich leichter, als das Mitmachen.«
    »Wollen wir fort?«
    »Noch nicht. Ich möchte die Gesichter sehen, welche die Kerls machen, wenn die Geschichte losgeht. Wartet noch einige Augenblicke.«
    Es verging keine lange Zeit, so ertönte von jenseits des Lagers ein lauter Schreckensruf; ein zweiter antwortete; darauf folgten mehrere schrille Schreie, denen man es anhörte, daß sie aus Indianerkehlen kamen - und nun ein Schnauben und Stampfen, ein Wiehern und Dröhnen, unter welchem die Erde zu zittern schien.
    Die Tramps waren aufgesprungen. Jeder rief, schrie und fragte, was geschehen sei. Da ertönte die Stimme des roten Cornels:
    »Die Osagen sind fort. Alle Teufel, wer hat sie - - -«
    Er hielt entsetzt mitten in der Rede inne. Er war, während er sprach, zu den Wächtern gesprungen und hatte den ihm nächsten derselben gepackt, um ihn emporzuzerren. Er sah die verglasten Augen und den haarlosen, blutigen Schädel desselben. Er riß den zweiten, dritten und vierten in den Schein des Feuers und schrie dann entsetzt: »Tot! Skalpiert, alle vier!
    Und die Roten sind fort! Wohin?«
    »Indianer, Indianer!« rief es in diesem Augenblicke von der Seite her, an welcher sich die Pferde befunden hatten.
    »Zu den Waffen, zu den Pferden!« brüllte der rote Cornel. Wir sind überfallen. Man will uns die Pferde stehlen!«
    Es gab eine Scene ganz unbeschreiblicher Verwirrung. Alles rannte durcheinander, aber es war kein Feind zu sehen, und erst als man sich nach längerer Zeit einigermaßen beruhigt hatte, stellte es sich heraus, daß nur die erbeuteten Indianerpferde fehlten. Nun erst, nachdem das Unglück geschehen war, wurden Posten ausgestellt und man durchsuchte die Umgebung des Lagers, doch ohne allen Erfolg.
    Man kam zu der Meinung, daß noch andre als nur die gefangenen Osagen im Walde gewesen seien und sich herbeigeschlichen hatten, um ihre Kameraden zu befreien. Sie hatten dabei die Wächter von hinten erstochen und skalpiert und sich dann der Indianerpferde bemächtigt. Unbegreiflich war es den Tramps, daß die Ermordung der Wächter so vollständig lautlos hatte vor sich gehen können. Wie hätten sie sich aber gewundert, wenn sie gewußt hätten, daß es nur ein einziger gewesen war, der dieses indianische Meisterstück fertig gebracht hatte.
    Als dann die Anführer wieder an ihrem Feuer
    beisammensaßen, sagte der Cornel: »Dieses Ereignis ist zwar kein großes Unglück für

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