Der Schatz in den Highlands: Eine Liebesgeschichte im Schottland des 19. Jahrhunderts (Love and Passion) (German Edition)
tragen.«
»Sir John, es ist genug!«, sagte ich scharf und versuchte, mich zu erheben. Sogleich war er neben mir und drückte mich mit sanfter Gewalt auf den Stuhl zurück. Man sah ihm nicht an, wie viel Kraft in seinen Armen steckte. Es würde mir nicht gelingen, ihn zu überwältigen, um in den Besitz des Schlüsselbundes zu kommen. Zudem hielt sich die bullige Gestalt des Dieners stets im Hintergrund auf. »Auch wenn ich in Ihren Augen Ihre Gastfreundschaft nicht zu schätzen weiß, so möchte ich jetzt endlich wissen, warum Sie mich entführt haben. Wenn Sie sich Lösegeld erhoffen, so muss ich Sie leider enttäuschen. Ich besitze gerade genügend, um mich selbst über Wasser zu halten.«
Sir John ließ mich keinen Augenblick aus den Augen.
»Sie werden bald erfahren, warum, meine Liebe. So lange muss ich Sie bitten, sich zu gedulden. Das Mädchen wird dafür sorgen, dass es Ihnen an nichts fehlt. Sie brauchen nur Ihre Wünsche zu äußern ...«
»Dann wünsche ich, umgehend nach Cromdale zurückgebracht zu werden«, unterbrach ich ihn scharf. »Wenn Sie mich noch heute Nacht gehen lassen, werde ich von einer Anzeige absehen.«
In dem Moment, als ich es aussprach, wusste ich, dass ich eine Anzeige nicht hätte erwähnen sollen. In seinen sonst ruhigen Augen glomm ein Funke von Härte auf, der mir sagte, dass seine Freundlichkeit nur oberflächlich war. Ein furchtbarer Verdacht stieg in mir auf. Bisher hatte ich gedacht, das Opfer einer Erpressung zu sein. Sobald er feststellte, dass ich nicht über Reichtümer verfügte, würde er mich gehen lassen. Aber jetzt konnte ich mich dem Gedanken, einem Geisteskranken in die Hände gefallen zu sein, nicht verschließen. Sir John hatte davon gesprochen, heiraten und einen Erben bekommen zu müssen. Wenn er sich auf diese Art und Weise eine Frau besorgen musste, stimmte offenbar mit ihm etwas nicht. Aber warum war die Wahl ausgerechnet auf mich gefallen? Wir waren uns nie zuvor begegnet, jedenfalls konnte ich mich nicht an ihn erinnern. In meinem Kopf wirbelten die Gedanken durcheinander. Ich glaubte, seine Anwesenheit keinen Moment länger ertragen zu können.
»Bitte, Sir John, ich möchte mich jetzt zurückziehen«, versuchte ich so freundlich wie möglich zu sagen. Ich erinnerte mich daran, dass man Verrückte höflich und zuvorkommend behandeln sollte. »Ich danke Ihnen für das ausgezeichnete Mahl, aber jetzt bin ich sehr müde.«
Er stand auf und verneigte sich. Dann schnippte er mit den Fingern, und lautlos trat Bridget ein. Sie musste wohl vor der Tür gewartet haben.
»Führe Mylady in ihr Zimmer«, befahl er, ohne dem Mädchen einen Blick zu gönnen. »Lady Lucille, Sie werden jetzt folgsam sein, oder? Seien Sie versichert, dass keine der Türen offen steht. Sollte Ihnen dennoch die Flucht ins Freie gelingen, so muss ich Sie warnen! Das Haus ist von drei Seiten vom Meer umgeben und verfügt zum Land hin über eine Zugbrücke, die selbstverständlich hochgezogen ist.« Er lächelte, nicht ohne Charme, und fuhr fort: »Sollten Sie es dennoch irgendwie schaffen, die Burg zu verlassen, so befinden Sie sich in einem Moorgebiet, in das sich selbst die Einheimischen nicht wagen. Sie könnten auch über die Klippen ins Meer stürzen. Ich denke, dass Sie die gemütliche Wärme Ihres Zimmers diesen Aussichten vorziehen werden, oder?«
Ich verzichtete auf eine Antwort und folgte dem Mädchen die Treppe hinauf. Stephen begleitete uns. Sir John ging nicht wieder das Risiko ein, dass ich Bridget überwältigen könnte. Auch wenn alles den Anschein hatte, als drohe mir keine unmittelbare Gefahr, ich musste auf der Hut sein. Es musste mir einfach gelingen, die Burg so schnell wie möglich zu verlassen!
Am nächsten Tag sah ich Sir John erst wieder am Abend. Der Regen hatte aufgehört, und Bridget führte mich am Vormittag in einen kleinen Innenhof, der von den Gebäuden der Burg umschlossen war. Außer der Pforte, durch die wir getreten waren, gab es keinen weiteren Zugang. In den ungepflegten Beeten wucherte verdorrtes Unkraut, das der Winter noch nicht restlos zerstört hatte. In der Mitte befand sich eine moosüberzogene Sonnenuhr, daneben eine hölzerne Bank. Seufzend ließ ich mich auf dieser nieder und streckte mein Gesicht der Sonne entgegen. Obwohl der Wind kühl war, tat der Aufenthalt an der frischen Luft gut. Die halbe Nacht hatte ich wach gelegen und über meine Lage nachgedacht. Doch von welcher Seite ich die Angelegenheit auch betrachtete, es gab keine
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