Der Schatz von Dongo
Schlinge zuzog, entkommen war.
Er hatte seinen Fluchtweg gut vorbereitet. Er führte ihn in
die Vereinigten Staaten, wo er – entschlossen, sein ruchloses
Leben aufzugeben – die erstbeste ehrliche Arbeit annahm, die
sich ihm bot: er wurde Kellner in einem beliebten italienischen
Restaurant namens ›Gino‹. Binnen kurzem gelang es ihm, sein fließendes
Englisch zu amerikanisieren und sich aufgrund seiner neuen Verbindungen
einen Oberkellnerposten bei ›Orsini‹, einem eleganten Speiselokal, zu
verschaffen. Leider wurden durch diese Stellung seine Verbindungen zu
gut, und Giorgio wich schon bald wieder vom geraden, aber zu steinigen
Weg ab. Er ließ sich, von der Lockung eines todsicheren Coups verführt,
von einem Kunden zu einem Ding überreden, bei dem seine ganze
Beteiligung im Mitnehmen eines kleinen, aber überaus wertvollen
Päckchens nach Italien bestand. Unglücklicherweise wartete dort schon
die Flughafenpolizei auf Giorgio und das Päckchen, und so kam es, daß
er vier Jahre in meiner Gesellschaft verbrachte.
Als wir uns im Hof zum erstenmal trafen – er hatte
gehört, ein Amerikaner sei da, und mich daraufhin
angesprochen –, analysierte er sein Dilemma mit dem
lakonischen Ausspruch: »Ich wollte eben zu schnell reich werden.«
Jetzt, vier Tage nachdem ich ihm erklärt hatte, was wir an
Dokumenten brauchten – Bescheinigungen, Pässe, Beglaubigungen
von Universitäten, Diplome und so weiter –, hatte Giorgio
bereits alles in erstklassiger Ausführung geliefert. Ich war ein wenig
nervös gewesen. Ich fürchtete mich vor Teds und Bis de Jongs Reaktion
auf Giorgio, der immer recht hemmungslos auf die Tube drückte. Doch
alle Befürchtungen wurden aufs gründlichste von der erstaunlichen
Qualität seiner Fälschungen widerlegt. Einmal fragte Ted Giorgio, ob er
denn tatsächlich meine, man könne nach all diesen Jahren die Spur des
verschwundenen Schatzes aufnehmen.
»Sprechen Sie Spanisch?« erkundigte Giorgio sich.
»Spanisch – nein.«
»Na, macht nichts. Es gibt ein sehr treffendes altes
spanisches Sprichwort, das in der Übersetzung durchaus nicht verliert:
›Mit Geduld und Spucke vögelt der Elefant die Mucke.‹« Von da an hieß
es jedesmal, wenn wir auf Hindernisse stießen: »Geduld und Spucke!«
Giorgio machte den Vorschlag, es uns auf Anstecknadeln drucken zu
lassen.
Zonico und Dongo liegen nebeneinander am
Seeufer und ziehen sich steil den Berg hinan. Dongo, der größere Ort,
sowohl an Ausdehnung als auch an Einwohnerzahl, besaß zwei Kinos,
Zonico keines. Doch Zonico brüstete sich mit dem einzigen Krankenwagen,
der von einem verrunzelten ehemaligen ufficiale namens Paulo Benfatto gefahren wurde. Die abschüssigen Straßen beider
Ortschaften waren mit Kopfsteinen gepflastert und viel zu schmal für
amerikanische Autos. Dongo besaß eine große, schön proportionierte
Piazza mit Cafés an den Längsseiten, das imposante Rathaus blickte aufs
Wasser hinaus, dessen Ufer die offene, vierte Seite der fast vollkommen
quadratischen Piazza abschloß.
Zonico hingegen verfügte nur über einen sehr unregelmäßig
geformten Marktplatz, der nicht einmal ein richtiger Platz war, sondern
einfach ein altes Café an der Autostraße, von dem aus eine
Katzenkopfgasse zu dem Krankenwagen in seinem uralten Schuppen führte.
Am oberen Ortsrand von Dongo, dort, wo der Berghang zu steil wurde, um
noch Gebäude zu tragen, lag eine große, einträgliche Eisengießerei mit
achthundert Arbeitern, die aus den umliegenden Dörfern kamen. Als Ted
und Bis im Jahre 1945 hier gewesen waren, hatte die Eisengießerei nur
fünfzig Arbeiter beschäftigt. Den überraschendsten Fortschritt jedoch
stellte das riesige Erzverarbeitungs- und Zementwerk am Berghang über
Zonico dar – ein Komplex, den es im Jahre 1945 überhaupt noch
nicht gegeben hatte und der jetzt dreizehnhundert Arbeiter
beschäftigte, die sogar aus so entlegenen Dörfern wie Cernobbio zur
Arbeit kamen. Wir hegten natürlich sofort den Verdacht, daß die Fabrik
mit einem Teil des Mussolini-Schatzes finanziert worden sein könnte,
denn damals, 1945, hatte Benno Barbelli, der Besitzer, lediglich eine
Töpferei mit drei Angestellten betrieben.
In Dongo gab es auch eine Kirche, Santo Antonio. Sie stand
gleich an der Piazza. Ein anderes religiöses Etablissement lag weiter
oben am Berg: das Santuario Madonna della Lacrime. Zonico besaß keine
Kirche, doch hier stand in noch einsamerer Höhe als Dongos Santuario
das Monasterio di Santo Zacharia.
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