Der Schatz von Dongo
Hauptschatzes
verschwunden, aber es interessiert mich doch, zu erfahren, wo er
eigentlich geblieben ist. Ich bin derselben Meinung wie du, daß einiges
davon noch immer in den Verstecken liegt. Es war zu auffallend,
vielleicht auch zu schwierig, alles herauszuholen. Mit der Zeit jedoch
wird alles verschwinden. Ted rief mich kurz vor deiner Ankunft an. Er
ist nicht besonders scharf darauf, in diese Sache verwickelt zu werden,
aber wir haben beschlossen, zwei Wochen lang mitzumachen, um dir auf
den Weg zu helfen. Danach wird einer von uns nach Hause fahren, und
anschließend wechseln wir uns jeweils ab. Auf diese Weise können wir
uns um unsere Firmen und Familien kümmern und gleichzeitig mit dir in
Dongo Verbindung halten. Das einzige, was mir noch Sorgen macht, ist
dieser Giorgio, den du, wie Ted mir berichtete, in den permanenten Stab
aufnehmen willst. Kann man ihm wirklich vertrauen? Einem ehemaligen
Sträfling …«
»Das bin ich auch.«
»Ja, sicher. Aber du weißt genau, was ich meine.«
»Man kann ihm vertrauen. Voll und ganz.«
»Gut. Wir müssen uns in dieser Hinsicht vorerst auf dein Wort
verlassen. Nur, wenn wir da unten sind, werden wir uns natürlich ein
eigenes Urteil bilden. Das mußt du verstehen. Du hast die Leitung, das
Risiko gehen wir aber alle ein. Und jetzt erzähl mal, wie es gestern
abend war. Hat Keva dir alles gezeigt, was du sehen wolltest?«
Keva holte mich mit ihrem kleinen schwarzen
Volvo vom Hotel ab. »Den Führerschein habe ich erst seit Januar. Den
Volvo habe ich alt gekauft, aber ich habe einen Freund, der sich mit
solchen Dingen auskennt, und der hat ihn für mich aufgetrieben. Ich
zahle jeden Monat ein bißchen ab. Er ist meine einzige Freude.« Sie
fuhr mich zum Museum für Moderne Kunst auf Skeppsholmen, einer Insel im
Strömmen, gleich neben der Landzunge mit der Altstadt. Es gab gerade
eine Sonderausstellung mit Leihgaben der Werke des norwegischen Malers
Edvard Munch, für dessen Bilder sich Keva leidenschaftlich begeisterte.
Drinnen, auf dem Weg zur Munch-Ausstellung, führte mich Keva
zu den ständigen Picassos – nicht, um mir die Bilder zu
zeigen, wie sich herausstellte, sondern wegen eines Picasso-Zitates,
das an der Wand über dem Eingang stand. Sie übersetzte es für mich: »Es
gibt keine abstrakte Kunst. Man muß immer mit irgend etwas beginnen.
Danach kann man alle Spuren der Realität beseitigen. So läuft man keine
Gefahr, denn die Idee des Objektes hat ihr untilgbares Zeichen
hinterlassen.«
Sie sah mich lange an, das Blau ihrer Augen war tiefdunkel
geworden. »Ich glaube daran. Glaubst du es auch? Ich meine, im Leben.
Es ist ein sehr wichtiger Gedanke für das Leben. Man hat eine Bindung.
Dann ist sie wieder fort. Sie scheint verschwunden zu sein. Aber nein.
Das, was diese Bindung ausgelöst hat, war real. Es hinterläßt ein
untilgbares Zeichen an dir. Ich habe überall untilgbare Zeichen an mir.«
Einige der Farben und Formen der Munch-Bilder gefielen mir,
aber ich war so lange weit von der Welt der Kunst entfernt gewesen, daß
ich mich fremd fühlte. Keva begeisterte sich besonders für das Bild
zweier Liebender: Der Kuß. Sie sagte: »Wie die beiden Gesichter zu
einem verschmelzen – das sind wir. Ich liebe nur die Bilder
mit den zarten Konturen, nicht die großen Gemälde. Die großen sind
jedermann.« An einem Tisch in der Nähe des Ausgangs wurden
Reproduktionen verkauft, und ich erstand eine Kopie des ›Kusses‹ und
schenkte sie Keva. Sie freute sich sehr.
Nicht weit vom Museum gab es ein Schallplattengeschäft, wo
Keva die Aufnahme einer Klavieretüde fand, nach der sie schon lange
suchte. In einer Kabine hörten wir sie uns an. »Du mußt auf die hohen
Läufe achten«, erklärte sie mir. »Und dann die Kadenzen. Es ist wie das
Fliegen. Man lauscht und hat das Gefühl, in der Luft zu sein.«
Das Abendessen nahmen wir im Restaurant ›Goldener Frieden‹
ein, wo es zwölf verschiedene Sorten von frischem Hering und rohen,
ungeräucherten Lachs in Marinade mit frischem Dill zur Auswahl gab.
»Kannst du dir vorstellen, daß wir eine Nacht und einen Morgen
verbracht haben, ohne miteinander zu schlafen?« sagte Keva. »Na, heute
abend wird alles friedvoll sein, das verspreche ich dir. Das ist auch
eins von meinen guten Wörtern. Friedvoll.«
»Michael Bamberg hat wirklich viel für deinen Wortschatz
getan.«
»Dieses Wort stammt nicht von Michael Bamberg. Ich habe noch
andere Quellen. Gib du mir ein Wort von dir.«
Ich dachte nach.
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