Der Schatz von Dongo
Körper zu küssen – in einer Art
Schema, einer Art Rhythmus. Und ich war verzweifelt bemüht, auf diesen
Rhythmus einzugehen, aber ich fühlte schon, wie mein Körper wieder naß
wurde. In weiter Ferne – weil meine Ohren erfüllt waren vom
Summen sich aufbauender Gefühle – führte Tom Lehrer Alma ihrem
Abschied entgegen:
»Alma, du warst so offen zu allen,
Gustav, Walter und Franz hat's gefallen …«
Der Schweiß nahm zu. Ich spürte, wie meine
steigende Erregung nachließ, und wehrte mich dagegen, suchte wieder auf
die Höhe zu kommen, auf der ich gewesen war.
»Die drei wußten: Die Alma, die kann's!
Mit dem Gustav, dem Walter, dem Franz.«
Aber es half nichts. Der Strom der Erregung
sank, der Schweißstrom stieg, ich fühlte mich leer, in mein Schicksal
ergeben. In diesem Augenblick hörte ich den kleinen Jungen weinen.
Zuerst glaubte ich, das Geräusch käme von der Tom-Lehrer-Platte, auf
der jetzt eine andere Aufnahme lief. Aber dann war es mitten im Raum,
Keva rollte sich von mir fort, und der Junge lag bei uns im Bett,
schluchzend, nur halb aus seinem Traum erwacht und von seinem Asthma
gequält. Keva nahm aus einem Fläschchen auf dem Nachttisch zwei Pillen,
die der Kleine gehorsam schluckte, obwohl er wegen der Atemnot ein
bißchen würgen mußte. Keva zog ihn in ihre Arme. Der kleine,
pyjamabekleidete Körper zitterte, doch Keva drückte ihn liebevoll an
sich und redete ihm in singendem Schwedisch tröstend zu. Ich hatte mich
zugedeckt und war ganz an die Wand gerückt; ich fürchtete, der Kleine
könne meine Anwesenheit bemerken. Doch Keva schien sich deswegen
überhaupt keine Gedanken zu machen, sondern wiegte den Jungen sanft hin
und her. Einmal streckte sie die Hand aus, um mich zu
berühren – fast so, als wollte sie mich ebenfalls trösten. Ich
selbst wollte nichts als aus diesem Bett verschwinden, doch anscheinend
saß ich unentrinnbar in der Falle. Die Kerze brannte ab. Der
Plattenspieler schaltete sich selbsttätig aus.
Als ich aufwachte, schliefen Keva und ihr
Sohn eng umschlungen. Die Kerze war heruntergebrannt. Behutsam
kletterte ich aus dem Bett, zog mich beim Licht der Straßenlaterne vor
dem Fenster an und verließ lautlos die Wohnung.
Bis de Jongs Club, von viktorianischer
Eleganz und offensichtlich dem Vorbild von White in London nachgebaut,
lag nur zwei Häuserblocks von meinem Hotel entfernt. Bis hatte einen
großen Umschlag mit dem Dossier mitgebracht, das er vor vierundzwanzig
Jahren in Zonico und Dongo angelegt hatte. Ich fragte ihn nicht, wieso
es in seinem Besitz war statt in den Militärarchiven, wohin es
eigentlich gehörte.
Ich las es noch vor dem Lunch, als wir im Gobelinzimmer saßen,
das man als Bar eingerichtet hatte. Während Bis die Zeitung studierte
und wir beide Martinis tranken, las ich vom Mera-Fluß und seinem
Geheimnis sowie von den Aussagen einiger deutscher Soldaten des
Konvois, der dort von einem Ufer zum anderen übergesetzt hatte. Nach
der Lektüre des Mera-Abschnittes war ich überzeugt, daß sogar jetzt,
nach so langer Zeit, gewisse Nachforschungen immer noch aussichtsreich
sein könnten.
Der Abschnitt über Luigi Hoffmann war sogar noch ermutigender,
allerdings nur, wenn Hoffmann, der zur Zeit unserer Schatzsuche in den
Vierzigern gewesen sein mußte, noch am Leben war. Die Verbindungen
zwischen Hoffmann und der Widerstandsbewegung, die Bis aufgedeckt
hatte, wiesen eindeutig darauf hin, daß er über vieles, was zur
Wiederauffindung und Verteilung des Schatzes geschah, informiert, wenn
nicht sogar daran beteiligt gewesen war. Doch Hoffmann aufzutreiben,
den niemand bisher hatte finden können, und ihn, falls doch gefunden,
zum Reden zu bringen, war eindeutig eine sehr schwierige Aufgabe.
Die Mahlzeit war ganz á la Oxford Circus: Erbsensuppe,
Roastbeef, Kartoffeln, Rosenkohl, Cheddar-Käse und Kompott,
anschließend Kaffee und Zigarren im Jagdzimmer. Bis entschuldigte sich,
weil er mich nicht von seinem Zonico-Erz-Märchen in Kenntnis gesetzt
hatte, sprach aber sehr offen über sein ständiges Bedürfnis, sich für
eine Weile von Mallas Gegenwart zu befreien: »Sie hat ihre Vorzüge,
aber ihr nie nachlassender Druck auf meine Nerven ist auf die Dauer
schwer zu ertragen.« Ich dachte: Wie kann ein Mann zu einer Frau
freundlich sein, die seine Eier zum Frühstück verspeist? »Aber ich habe
immer gedacht, wie faszinierend es wäre, sich noch einmal in Dongo und
Zonico umzusehen. Bestimmt sind heute alle Spuren des
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