Der Schatz von Dongo
wenn man realistisch sein
will, muß man damit rechnen, daß die anderen Gefangenen nur darauf aus
sind, einem in den Rücken zu fallen. Also stellt man sich darauf ein,
steht sozusagen ständig mit dem Rücken zur Wand, die Flanken geschützt,
und traut nur dem, gegen den man eine wirksame Verteidigungswaffe hat.
Jetzt aber muß ich mich von der schützenden Wand lösen und Risiken
eingehen. Das muß sein – das, und vieles andere –,
wenn ich es schaffen will. Vor allem aber brauche ich einen Menschen,
dem ich vertrauen kann – und bei Ihnen habe ich das Gefühl.
Sie sind ein Teil von Arnoldo, und Arnoldo war der letzte Mensch in
meinem Leben, den ich liebte, dem ich vertraute – und der mir
vertraute. Deswegen war es so wichtig für mich, Sie davon zu
überzeugen, daß ich sein Vertrauen nicht mißbraucht habe. Und das habe
ich Ihnen zu sagen versucht. Weil Sie die sind, die Sie sind, stellen
Sie einen Teil des Lebens dar, das ich führte, als mein Leben vor
vierundzwanzig Jahren endete. Was ich Ihnen also zu sagen
versuche – auf ungeschickte Weise, das ist mir
klar –, ist, daß ich Sie brauche. Nur Ihre Anteilnahme. Weil
ich weiß, daß ich Ihnen vertrauen kann, wie ich Ihrem Vater vertraut
habe. Nur vorläufig, nur, bis ich wieder gehen und stehen gelernt habe.
Ich habe es gestern abend gemerkt, nachdem wir uns kennenlernten, und
heute ist es ein sehr starkes, sehr sicheres Gefühl: daß ich Sie
brauche. Wenn Sie sich also überwinden könnten, ein bißchen
teilzunehmen, nur ein bißchen, so wäre das einfach
wunderbar für mich. Es tut mir leid, wenn ich Sie in Verlegenheit
bringe. Ich bin selber verlegen. Aber wenn Sie nach Dongo kommen
könnten … Wäre das möglich? Sie wissen ja, es ist nicht weit.
Und wenn Sie mit Bis, Ted und Giorgio sprechen könnten, dann wären Sie
vielleicht vollständig überzeugt, daß ich Ihnen die Wahrheit über Ihren
Vater und mich gesagt habe. Und wenn Sie das wirklich als Wahrheit
akzeptieren könnten, dann könnten Sie mir vielleicht auch vertrauen und
helfen.«
Ich hatte es nicht gewagt, ihr in die Augen zu
sehen – aus Scham, nehme ich an, denn ich hatte das alles gar
nicht sagen wollen. Aber die Worte waren aus mir herausgeströmt,
unaufhaltsam. Jetzt sah ich sie an. Sie hatte das Kinn auf die Hände
gestützt und blickte mich offen an. Der traurige Zug in ihrem Gesicht
war plötzlich sehr ausgeprägt.
»Ich weiß nicht, warum ich das alles gesagt habe«,
entschuldigte ich mich. Dann schrieb ich meine Zonico-Adresse auf einen
Zettel und reichte ihn ihr. »Vielleicht kommen Sie doch. Und wenn ich
Ihnen jetzt verspreche, kein Wort mehr von diesem Thema zu
sagen – würden Sie dann mit mir zu Abend essen?«
»Tut mir leid, aber ich kann heute nicht.« Sie nahm den Zettel
und steckte ihn unbesehen in ihre Handtasche.
»Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort: ich werde bestimmt nicht von
persönlichen Dingen sprechen. Ich werde nur ein Fremder sein, der zu
Besuch gekommen ist.«
»Ich würde ja gern, aber ich bin verabredet.«
»Darf ich Sie hinbringen?«
»Ich werde vom Büro abgeholt.«
Ich zahlte und begleitete sie über die Straße zum Eingang des
Nuvola-Werkes. »Ich freue mich, daß wir uns ausgesprochen haben«, sagte
sie. »Es tut mir leid, daß nicht mehr dabei herausgekommen ist.« Sie
reichte mir nicht die Hand. Sie lächelte nicht. Sie drehte sich einfach
um und ging ins Haus. Ich sah ihren Beinen nach, als sie die
Marmortreppe hinaufstieg und oben durch die reich geschnitzte Holztür
verschwand. Eine Weile blieb ich noch auf dem Gehsteig
stehen – verloren, dann kehrte ich langsam in mein Hotel
zurück.
15
B is hatte gute Nachrichten für mich. Der
Versuchsballon Santo Zacharia war unerwartet erfolgreich gewesen. Ted
und Bis hatten durch Pater Piccionastro erfahren, daß einer der Fratres
von Santo Zacharia sich erinnerte, im Jahre 1945 von einem deutschen
Offizier namens Otto Kisnat gehört zu haben, der sich bei dem Mussolini
begleitenden Konvoi befand. Die Information besagte, daß Hauptmann
Kisnat am Abend des 27. April 1945, als der Konvoi durch Tremezzo am
Comer See rollte, versucht hatte, einen Teil des Schatzes heimlich
beiseite zu schaffen, um ihn dann nach dem Krieg wieder zu bergen. Er
hatte zwei Säcke voll Goldbarren, Juwelen, Goldmünzen und mehrere
Aktenhefter mit Mussolinis persönlichen Dokumenten direkt gegenüber der
Villa Carlotta in den See versenkt. Die Villa Carlotta war ein
historisches Bauwerk, das eine der
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