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Der Schatz von Dongo

Der Schatz von Dongo

Titel: Der Schatz von Dongo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A.E. Hotchner
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sie sich an etwas erinnerte, das uns von Nutzen sein
konnte. Aber eine Brücke zu ihr. Zu Arnoldos
Tochter. Der Tochter des Mannes, an dessen Ermordung man mich für
schuldig erklärt hatte. Als wollte ich ganz sichergehen, daß ich mich
keiner Probe meiner bereits erwiesenen Unfähigkeit, ein richtiger Mann
zu sein, mehr stellen mußte. Was, wenn ich mit einer Frau schlafen
wollte, die wirklich zählte? Nur nicht darüber nachdenken! Lieber
darüber nachdenken, was sie mir unter Umständen erzählen konnte. Darauf
kann ich mich nicht konzentrieren. Warum habe ich das Gefühl, daß sie
genauso allein auf der Welt ist wie ich? Woher soll ich das denn
wissen? Vermutlich lebt sie mit einem Mann zusammen. Oder sie ist die
Geliebte eines verheirateten Mannes. So ist es doch in Italien. Ein
Mädchen mit einem so schönen Körper, ein Mädchen, das sich so graziös
bewegt, steht niemals allein. Trotzdem hatte ich das Gefühl, sie sei
allein. Sehr stark sogar. Wie ließ sich das nur erklären?
    Es war ein nettes Café – gemütlich, nicht
überfüllt –, und der Kellner kam nur, wenn man den nächsten
Drink bestellen wollte. Der Abend war warm, und auf der Straße, einer
Geschäftsstraße, war jetzt alles still. Ich zog die Jacke aus, hängte
sie über die Stuhllehne, lockerte meine Krawatte und ließ mir vom
Kellner einen Schreibblock bringen. Morgen früh wollte ich nach Dongo
zurückkehren und fand, ich könnte noch einmal sämtliche Anhaltspunkte,
denen wir nachgehen wollten, notieren. Es würde eine recht kurze Liste
werden, aber sie half mir vielleicht, meine Gedanken von Julietta zu
lösen. Nun gut, hier in dem netten Café zu sitzen, Scotch zu trinken
und eine therapeutische Liste aufzustellen, half für den Augenblick.
Doch später, in meinem stickigen Zimmer im ›San Gottardo‹ …
Verdammt, ich will nicht mehr daran denken! Ich
weiß doch genau, wie es werden wird: Wieder eine Nacht, in der ich mich
im Bett herumwälze, vom Bett zur Toilette wandere, zu einem Buch, zum
Fenster, zum Spiegel, wieder zum Fenster und dann aus dem Haus. In der
ich durch die hallenden, leeren Straßen wandere. Ich hatte schon viele
solcher Nächte erlebt. Aber das würde mir die Nacht, die vor mir lag,
auch nicht leichter machen.
    Ich war bei meinem dritten Scotch. Ich zwang mich, mit der
Liste zu beginnen, doch meine Gedanken waren bei ihrem Gesicht mit den
hohen Wangenknochen, die sie von Arnoldo geerbt hatte.
    Sie setzte sich, ohne ein Wort zu sagen. Ich hatte sie nicht
kommen sehen. Ihre Augen verrieten mir, daß sie geweint hatte. Der
Kellner kam, und ich bestellte ihr einen neuen Negroni.
    Sie blieb eine Zeitlang still sitzen und starrte stumm auf die
Tischplatte, während sie sich auf die Unterlippe biß. Sie trank einen
Schluck von ihrem Negroni, stellte das Glas hin, trank noch einen
Schluck. »Meine Mutter hat einmal gesagt – es war das einzige
Mal, daß sie von Ihnen sprach –, sie glaube nicht, daß Sie
meinen Vater umgebracht hätten. Deswegen bin ich zurückgekommen. Ich
finde, Sie sollten die Chance haben, zu sagen, was Sie mir sagen
wollen.«
    »Ihre Mutter hat das gesagt? Sie glaube nicht, daß ich Ihren Vater umgebracht habe?«
    »Ja.«
    »Haben Sie sie gefragt, woher sie das wußte?«
    »Nein. Sie war sehr erregt. Sie war nach Vaters Tod ständig
erregt. Sie hat sehr viel von ihm gesprochen. Und von dem, was damals
geschehen ist. Ich hörte ihr immer nur zu. Ich war viel zu verschreckt,
um Fragen zu stellen. Mein Vater war tot, meine Mutter weinte
ununterbrochen, ihr Haar war auf einmal ergraut, und Onkel Pietro, der
Bruder meines Vaters, war mir so fremd, so fern. Ich glaube, ich wollte
gern, daß er Vaters Platz einnahm, aber er mochte mich nicht, und ich
bekam Angst vor ihm, Angst vor allem.«
    Sie hatte mich noch nicht angesehen, seit sie sich hingesetzt
hatte. Jetzt richtete sie den Blick auf ihr Glas, mit dem Zeigefinger
fuhr sie über den oberen Rand. »Meine Mutter sagte das über Sie, weil
sie bei den wenigen Gelegenheiten, an denen Sie uns besuchten,
beobachten konnte, wie Sie meinem Vater gegenüberstanden, wie gute
Freunde sie waren.«
    »Erinnern Sie sich an diese Besuche?«
    Sie hob den Blick, und abermals spürte ich ihre Reaktion wie
eine mächtige Woge.
    »Ja. Natürlich. Ich hatte meinen Vater während des Krieges nur
zweimal gesehen. Und dann noch ein paarmal gleich nach dem Krieg, als
er Sie mitbrachte. Ich wurde 1940 geboren, und er war seit 1939 im
Krieg. Darum … Ja. O ja, ich

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