Der Schatz von Dongo
erinnere mich gut daran, wie er
Sie mitbrachte.«
»Es kommt mir so seltsam vor, diese Verwandlung von dem
kleinen, bezopften Mädchen in die Frau, die Sie jetzt sind. Wissen Sie,
daß Sie überhaupt nicht mehr dem Kind ähneln, das Sie einmal waren?«
Ihr Blick huschte weiter. Die Bemerkung schien sie zu
irritieren. »Ich möchte hören, was Sie zu sagen haben. Aber heute abend
bin ich zu erregt. Morgen vielleicht.«
»Okay. Ich bin auch ziemlich erregt, heute abend.«
»Wollen wir uns wieder hier treffen?«
»Gut. Darf ich Sie nach Hause begleiten?«
»Nein, danke.« Sie stand auf. »Es tut mir leid, daß ich den
Drink verschüttet habe.«
»Macht nichts.«
Sie lächelte. »Ich bin bereit, Sie anzuhören, aber das heißt
noch nicht, daß ich die Ansicht meiner Mutter teile.«
In dieser Nacht konnte ich gut schlafen. Ich
hatte häufig einen Traum gehabt, der sich an den verschiedensten
öffentlichen Plätzen abspielte: in einem Theater, in einer Hotelhalle,
in einer Zirkusmanege, auf der hinteren Plattform eines Omnibusses. Und
immer fehlten mir Kleidungsstücke, gewöhnlich Hose und Schuhe. In einem
dieser Träume entdeckte ich sogar, daß ich nur die vordere Hälfte
meiner Kleidung trug, während Rücken und Hinterteil splitternackt
waren. Dies nun war meine erste Nacht, in der ich überhaupt nichts
träumte. Am folgenden Tag wollte es einfach nicht Abend werden. Ich
wartete auf sie und repetierte immer von neuem, was ich ihr sagen
wollte, das heißt, weniger das Was als eigentlich das Wie.
Sie kam genau zur gleichen Zeit. Diesmal trug sie ein
leuchtend türkisfarbenes Kleid und hatte die Haare anders frisiert. Ich
fand, daß sie traurig aussah, aber diese Traurigkeit schien weniger der
Ausdruck ihrer momentanen Stimmung zu sein als vielmehr
Charakteristikum ihres Gesichts zu sein.
Sie war ebenso reserviert wie am Tage zuvor, aber sie lauschte
mir aufmerksam und ohne Feindseligkeit, während ich ihr in allen
Einzelheiten berichtete, was sich damals abgespielt hatte. Es strömte
so offen, so unverfälscht aus mir heraus, daß ich das Gefühl hatte, sie
müsse es als die Wahrheit erkennen. Und als ich fertig war, hielt ich
es für selbstverständlich, daß sie mir glaubte. Ich wartete nicht auf
ihre Reaktion, wartete nicht ab, was sie darauf zu sagen hatte, sondern
hielt es für selbstverständlich, daß der Schuldbeladene zwar vielleicht
nicht seine Unschuld bewiesen, daß er aber zumindest gezeigt hatte,
welch triftige Gründe es gab, an seiner Schuld zu zweifeln.
Anschließend erzählte ich ihr von unserem Unternehmen in Dongo, von
dem, was wir bis jetzt gefunden hatten und noch zu finden hofften, von
meinen Partnern – alles. Ich entschuldigte mich für meine
Geschwätzigkeit.
»Haben Sie noch Verwandte in den Staaten?«
»Nein. Ich hatte nur eine kleine Familie, und die sind alle
schon tot.«
»Freunde?«
»Jetzt nicht mehr.«
»Wo wollen Sie wohnen?«
»Das weiß ich noch nicht. Es hängt davon ab, wie alles in
Dongo läuft. Im Grunde habe ich noch nicht darüber nachgedacht. Wenn
ich in Dongo Erfolg habe, kann ich leben, wo ich will. Ich meine, wirklich leben. Falls nicht – was spielt es dann für eine Rolle?«
»Geld bedeutet Ihnen wohl viel, nicht wahr?«
»Nach allem, was ich durchgemacht habe, möchte ich eine Basis
haben, von der aus ich wieder beginnen kann. Ja, Geld bedeutet mir
viel. Ja. Und Ihnen? Bedeutet es Ihnen denn gar nichts?«
»Das nicht. Es gibt schon etwas, was ich mit Geld erreichen
möchte. Aber nicht für mich. Für mich hat das Geld wenig Bedeutung.
Doch schließlich habe ich auch nicht gelitten wie Sie.«
»Darf ich Ihnen ein paar Fragen über Ihre Familie stellen? Ich
wüßte gern mehr über Ihren Onkel Pietro. Er war während des Krieges
Novize in Santo Zacharia, nicht wahr?«
»Ja, aber nicht lange. Die Gelübde hat er nicht abgelegt.«
»Wann ist er ausgetreten?«
»Als sich die Widerstandsbewegung bemerkbar zu machen begann.
Er hat nur bei den Partisanen gekämpft. Mein Vater dagegen war anfangs
Offizier bei Mussolinis Schwarzhemden. Er desertierte dann und wurde
auch Partisan.«
»Erzählen Sie mir, was Ihr Onkel nach dem Krieg gemacht hat.«
»Ein paar Jahre lebte er noch bei uns. Dann verkündete er
eines Tages, er wolle nach Deutschland gehen. Ich war damals in einem
Schweizer Internat und hatte wenig Kontakt mit der Familie, aber ich
hörte, er habe sich in Stuttgart niedergelassen und ein Baugeschäft
eingerichtet. Seine Firma florierte –
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