Der Schatz von Dongo
beben. Das Gewitter war
zurückgekommen und tobte jetzt noch fürchterlicher als zuvor. Noch nie
hatte ich Blitze in so schneller Aufeinanderfolge zucken sehen, noch
nie jeden neuen Donner schon aufbrüllen hören, ehe der vorhergehende
Schlag verklang. Das Haus war wie von Lichtbogenflammen erleuchtet.
Meine Tür flog auf, und Julietta stürzte herein, die Wolldecke eng um
sich gezogen. Sie war hysterisch. »Bitte, nur bis es vorüber ist!« Ganz
in der Nähe spaltete ein greller Pfeil den Himmel und züngelte
triumphbrüllend nach einem nahen Ziel. Julietta warf sich über das
Fußende des Bettes und barg ihr Gesicht in der rauhen Decke. Sie stieß
kleine, wimmernde Angstlaute aus. Ich legte ihr tröstend den Arm über
den Rücken.
»Es tut mir so leid, daß ich Sie störe«, sagte sie. »Ich habe
so gräßliche Angst vor dem Blitz. Das hier war Mutters Zimmer. Jedesmal
wenn wir ein Gewitter hatten, bin ich hierhergerannt.«
»Dann bin ich also ein Mutterersatz, wie? Könnte ich nicht
wenigstens ein Vaterersatz sein?« Jetzt schlug der Blitz ganz in der
Nähe ein, das scharfe Krachen des gleichzeitigen Donners wurde vom
unheimlichen Pfeifen des Einschlags selbst übertönt. Julietta schrie
auf und schmiegte sich zitternd an mich. Durch die dicken Falten der
Decke spürte ich den weichen Druck ihrer Brust. Sie hatte ihr Gesicht
an meiner Kehle geborgen wie ein verängstigter Vogel Strauß. Ihr Körper
wärmte und erregte mich, aber es gab weder Panik noch Schweißausbruch.
Es gab nichts weiter als ein hübsches, verschrecktes Mädchen, das bei
mir Schutz suchte. Und weiter würde es auch nichts geben. Keine
Herausforderung. Kein Grund zur Nervosität. Ich hielt sie fest in dem
Bewußtsein, daß dieses Festhalten keinerlei Konsequenzen haben würde.
Das Donnergrollen ließ nicht nach, aber ich spürte, wie sich
ihre Spannung löste.
Und so schliefen wir ein – jeder für sich wie eine
Mumie in Decken gewickelt, ihre Stirn an meiner Brust, mein Gesicht in
ihrem Haar.
Als wir am nächsten Morgen erwachten, ließ
uns der strahlende Tag das nächtliche Gewitter vergessen. Unsere
Kleider waren getrocknet, die Fähre verkehrte wieder, und gegen Mittag
waren wir unterwegs nach Carpignano.
17
A m späten Nachmittag trafen wir ein.
Carpignano war eine kleine Ortschaft etwa sechzig Kilometer nordöstlich
von Mailand. Unterwegs hatten wir zum Mittagessen in Cernobbio und
später noch einmal in Como Station gemacht, weil Julietta etwas bei der
Nuvola zu tun hatte. Deswegen war es zu spät geworden, um mehr zu tun,
als kurz die Umgebung von Carpignano in Augenschein zu nehmen.
Ein hilfsbereiter Einwohner zeigte uns zuvorkommend Rachele
Mussolinis Haus, und von dort aus folgten wir der Nadel auf meinem
Kompaß zwei Kilometer weit nach Südosten. An dieser Stelle gab es weit
und breit nichts als beackerte Felder, die sich bis an die Autostraße
heranzogen. Dicht an der Straße stand eine
Supercortemaggiore-Tankstelle und eine kleine, alte, verlassen wirkende
Steinkirche. Einen Kilometer weiter lag ein großes Bauernhaus, in dem
vermutlich der Bauer wohnte, der diese Felder bewirtschaftete. Doch
falls die Entfernungsangabe von zwei Kilometern genau stimmte, kam das
Bauernhaus nicht in Frage.
Wir stiegen aus und gingen aufs Feld hinaus, sorgfältig darauf
bedacht, uns zwischen den ordentlichen Reihen von Auberginen zu halten,
deren lavendelblaue Blüten das ganze Feld schmückten. Mehr gab
es – jedenfalls auf den ersten Blick – über der Erde
nicht zu sehen. Eine gründlichere Inspektion jedoch mochte vielleicht
einen Hinweis erbringen, irgend etwas, das auf eine Stelle deutete, an
der gegraben worden war. Aber das mußten wir auf den folgenden Tag
verschieben. Wir kehrten zum Wagen zurück und fuhren das kurze Stück
nach Mailand weiter. Bis hatte uns das Hotel ›Cavour‹ in der Via
Fatebenefratelli empfohlen. Als ich den jungen Angestellten am Empfang
um zwei Einzelzimmer bat, lächelte er mit einem Blick auf Julietta, wie
mir schien, anerkennend und sagte, gewiß, er habe zwei sehr hübsche,
benachbarte Zimmer im vierten Stock. Wir gaben ihm unsere Pässe,
erklärten dem bagagliere , welcher Koffer in welches Zimmer gehörte, und folgten dem jungen Mann
zum Lift.
Die Zimmer hatten eine Verbindungstür, die er zwar aufschloß,
diskreterweise aber nicht öffnete. Julietta war ans Fenster getreten.
Der junge Mann überwachte die Ankunft unseres Gepäcks. Ich wußte nicht,
ob ich ihm ein Trinkgeld geben sollte, er
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