Der Schatz von Franchard
Umständen recht teuer bezahlt war: ein Hühnchen, das ich noch mit Meister Goguelat zu pflücken habe. Zweitens, hier ist das Instrument, das dabei verwendet wurde, eins unserer eigenen Tafelmesser, eins unserer allerbesten, meine Liebe; was seitens der Bande (falls es eine Bande war) auf keinerlei Vorbereitungen schließen läßt. Drittens bemerke ich, daß bis auf die Franchard'schen Gefäße und die Truhe nichts gestohlen worden ist; unser eigenes Silber hat man aufs genaueste respektiert. Das ist schlau; es beweist Intelligenz, Kenntnis der Gesetze, den Wunsch, gerichtlichen Konsequenzen aus dem Wege zu gehen. Aus dieser Tatsache schließe ich, daß sich unter derBande auch respektable Personen befinden – von äußerlicher Respektabilität, wohlgemerkt, rein äußerlicher, wie dieser Einbruch beweist. Zweitens folgere ich daraus, daß wir in Franchard selbst belauscht und den ganzen Tag über mit einer Geschicklichkeit und Geduld verfolgt worden sind, die ich als vollendet zu bezeichnen wage. Kein gewöhnlicher Mensch, kein Gelegenheitsverbrecher hätte sich derartiger Kombinationen fähig gezeigt. In unserer Nachbarschaft befindet sich daher höchstwahrscheinlich ein privatisierender Bandit von höchster Intelligenz.«
»Großer Gott,« rief die erschrockene Anastasie, »Henri, wie kannst du nur?«
»Meine Teuerste, ich verfolge hier ein induktives Verfahren,« war die Antwort des Doktors. »Wenn irgend einer meiner Schritte unrichtig ist, so korrigiere mich bitte. Du bist stumm? Dann sei bitte nicht so ungemein unlogisch, vor meinen Schlüssen zurückzuschrecken. Wir sind nunmehr zu einer Vorstellung von der Beschaffenheit der Bande gelangt« – fuhr er fort, »denn ich neige immer noch zu der Annahme, daß es mehr als eine Person war – und verlassen jetzt dies Zimmer, das uns keinerlei weitere Aufschlüsse zu geben vermag, um unsere Aufmerksamkeit dem Hof und dem Garten zuzuwenden. (Jean-Marie, ich hoffe, du folgst meinen einzelnen Schlüssen ganz genau; du kannst hieraus Vortreffliches lernen.) Komm mit mir zur Tür. Keine Fußspuren auf dem Hof; es ist beklagenswert, daß unser Hof gepflastert ist. Von welchen unbedeutenden Einzelheiten mitunter das Schicksal dieser delikaten Untersuchungen abhängt! Hallo! Was habenwir hier? Ich habe euch genau an die richtige Stelle geführt,« sagte er, indem er sich großartig wieder zurückwandte und auf das grüne Tor wies. »Wie ihr selbst sehen könnt, ist hier jemand über den Zaun geklettert.« Wahrhaftig, die grüne Farbe war an verschiedenen Stellen abgeschabt und abgeblättert; und auf einem der Bretter war der Abdruck eines genagelten Schuhs zurückgeblieben. Der Fuß war ausgeglitten, so daß die Größe des Schuhs schwer und die Anordnung der Nägel überhaupt nicht zu erkennen waren.
»Der ganze Raub,« schloß der Doktor, »ist somit Schritt für Schritt rekonstruiert worden. Weiter vermag die induktive Wissenschaft nicht zu gehen.«
»Es ist wunderbar,« meinte seine Frau. »Du hättest wirklich Detektiv werden sollen, Henri. Ich hatte keine Ahnung von deinen Talenten.«
»Meine Liebe,« entgegnete herablassend der Doktor, »ein Mann mit wissenschaftlichem Kombinationsvermögen besitzt auch die unwichtigeren Eigenschaften. Er ist ebensosehr Detektiv wie Publizist oder General; das sind lediglich Lokalproben seines besonderen Talentes. Wollt ihr aber,« fuhr er fort, »daß ich noch weiter gehe? Wollt ihr, daß ich meine Hand auf den Schuldigen lege? Oder vielmehr, denn ganz so viel kann ich euch ja nicht versprechen, soll ich euch sogar das Haus zeigen, wo sie wohnen? Es mag uns eine Genugtuung sein, zum mindesten dürfte es die einzige Genugtuung bleiben, die uns zuteil werden wird, da uns die Hilfe der Gesetze versagt ist. Um den von mir gegebenen Umriß des Verbrechens auszufüllen, brauche ich einen Menschen, der von Haus aus müßig inden Wäldern herumschweift, einen Menschen von Bildung und über die Erwägungen der Moral erhaben. Diese sämtlichen drei Voraussetzungen finden sich in Tentaillons Pensionären vereinigt. Sie sind Maler, folglich treiben sie sich ständig im Walde umher. Sie sind Maler, folglich werden sie wahrscheinlich einen Schimmer von Bildung besitzen. Schließlich sind sie, da sie Maler sind, wahrscheinlich auch unmoralisch. Das kann ich auf zweierlei Art beweisen. Erstens ist die Malerei eine Kunst, die sich lediglich an das Auge wendet; sie setzt in keinerlei Weise den moralischen Sinn in Bewegung. Zweitens läßt
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