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Der Schatz von Franchard

Titel: Der Schatz von Franchard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Louis Stevenson
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die Malerei wie alle anderen Künste auf die gefährliche Eigenschaft der Phantasie schließen. Ein Mann von Phantasie ist niemals moralisch; er setzt sich über die Schranken der Wirklichkeit hinweg und sieht das Leben von so vielen schwankenden Gesichtspunkten an, daß er sich unmöglich mit den gehässigen Unterscheidungen der Gesetze abfinden kann.«
    »Aber du hast doch immer gesagt – wenigstens habe ich dich so verstanden – « sagte Madame, »daß diese Burschen auch nicht die geringste Phantasie bezeigten.«
    »Meine Liebe, sie haben Phantasie bezeigt, und zwar von sehr phantastischer Art,« entgegnete der Doktor, »als sie ihren bettlerhaften Beruf ergriffen. Außerdem – dieses Argument wird genau auf deinem intellektuellen Niveau stehen – sind viele von ihnen Engländer und Amerikaner. Wo sonst sollten wir denn einen Dieb suchen? Und jetzt siehst du wohl am besten nach deinem Kaffee. Weil uns ein Schatz verloren gegangen ist, brauchen wir noch nicht zu hungern. Ich für meinenTeil werde mein Frühstück mit Weißwein beginnen. Ich fühle mich ganz unerklärlich erhitzt und hungrig. Ich vermag das nur dem Schrecken über die Entdeckung zuzuschreiben. Dennoch müßt ihr mir das Zeugnis ausstellen, daß ich die Aufregung großartig getragen habe.«
    Der Doktor hatte sich inzwischen wieder in vorzügliche Laune hineingeredet, und während er so in der Laube saß und langsam eine große Portion Weißwein hinuntergoß und mit nicht sehr stürmischem Appetit an einem kleinen Brocken Brot und Käse knabberte, weilten seine Gedanken, wenn auch zu einem Drittel bei dem verschwundenen Schatz, so doch zu zwei Drittel in angenehmster Weise bei seiner Geschicklichkeit als Detektiv.
    Etwa um elf Uhr traf Casimir ein; er hatte einen Frühzug nach Fontainebleau benutzt und war, um Zeit zu sparen, von dort aus mit dem Wagen gefahren. Jetzt war dieser bei Tentaillon untergestellt, und seine Uhr zu Rate ziehend, meinte er, daß er anderthalb Stunden Zeit hätte. Er kehrte in vieler Hinsicht den Geschäftsmann heraus, war kurz und energisch von Rede und liebte es, auf intellektuelle Art die Stirn zu runzeln. Als Anastasies leiblicher Bruder verschwendete er an diese Dame nicht viel Gefühl, sondern gab ihr nach englischer Familienart einen Kuß und verlangte unverzüglich zu essen.
    »Ihr könnt mir eure Geschichte beim Essen erzählen,« bemerkte er. »Gibt's was Gutes heute, Stasie?«
    Man versprach ihm was Gutes. Das Trio setzte sich in der Laube zu Tisch. Jean-Marie aß mit und wartetezugleich auf, und der Doktor berichtete im blumigsten Erzählerstil, was ihm zugestoßen war. Casimir hörte unter Lachexplosionen zu.
    »Welch fortgesetzter Dusel, mein guter Bruder,« bemerkte er, als der Bericht zu Ende war. »Wärest du nach Paris gezogen, du hättest die ganze Geschichte in drei Monaten durchgebracht. Dein eigenes Vermögen wäre den gleichen Weg gegangen, und du wärst wieder einmal als Bittsteller zu mir gekommen, wie das vorige Mal. Aber ich warne dich – Stasie mag ruhig weinen und Henri seine logischen Beweise ziehen – ein zweites Mal kommt ihr damit nicht durch. Euer nächster Zusammenbruch wird endgültig sein. Ich meinte, dir das schon einmal gesagt zu haben, Stasie? He? Noch immer keine Vernunft?«
    Der Doktor war zusammengezuckt und hatte Jean-Marie verstohlen angesehen; aber der Junge schien apathisch.
    » Aber was seid ihr auch für Kinder,« brach Casimir von neuem los, »ungezogene Kinder, bei Gott! Wie konntet ihr den Wert von all dem Plunder bestimmen? Vielleicht taugte er überhaupt nichts oder doch nur wenig.«
    »Verzeihung,« sagte der Doktor. »Ich sehe, du redest mit deinem üblichen Temperament, aber mit noch weniger Überlegung als gewöhnlich. Ich bin nicht so ganz unbewandert in diesen Angelegenheiten.«
    »Nicht so ganz unbewandert in allem, was mir je zu Ohren gekommen ist,« unterbrach ihn Casimir, indem er sich erhob und ihm mit einer Art naseweiser Höflichkeit zuprostete.
    »Zum mindesten habe ich mich mit der Sache befaßt,«fuhr der Doktor fort,» – das wirst du mir wohl glauben – meiner Schätzung nach mußte unser Kapital etwa verdoppelt werden.« Und er schilderte ihm die Art des Fundes.
    »Bei meinem Wort!« sagte Casimir, »ich glaube dir halb und halb! Doch hängt natürlich viel von der Qualität des Goldes ab.«
    »Die Qualität, mein lieber Casimir, war – – «Und der Doktor küßte mangels der Worte seine Fingerspitzen. »Auf dein Wort würde ich mich nicht

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