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Der Schauermann - Historischer Thriller (German Edition)

Der Schauermann - Historischer Thriller (German Edition)

Titel: Der Schauermann - Historischer Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Barkawitz
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Lok mit einem breiten Grinsen. Er bot Boysen einen Platz an, und das Mädchen mit den verkrüppelten Füßen brachte erneut unaufgefordert Jasmintee.
    »Ich habe nicht viel Zeit«, blaffte Boysen grob. Er hatte jetzt keine Lust auf fernöstliche Höflichkeitsrituale. »Warum haben deine Buttjes diesen Detektiv Wallmann abgeschlachtet?«
    »Ein Detektiv war das?« Kwan Loks Erstaunen schien echt zu sein. »Auf jeden Fall ist der Mann sehr dumm gewesen. Sonst hätte er nicht meine Buttjes angegriffen. Sie haben sich nur verteidigt. Der Mann schoss, und Li Fang wurde am Arm verwundet. Daraufhin haben sich meine Buttjes gewehrt.« Kwan Lok machte eine Pause und trank einen Schluck Tee. »Außerdem war er ein lästiger Zeuge. Ich wollte nicht, dass irgendjemand sieht, was meine nichtswürdigen Buttjes für den ehrenwerten Offizianten getan haben.«
    Mit diesen Worten zog der alte Chinese ein gebundenes Buch unter seinem Tisch hervor und reichte es Boysen. Durch diese unerwartete Geste hatte er dem Uniformierten den Wind aus den Segeln genommen. Boysen schlug den Band auf.
    Es war das Tagebuch von Carl Lütke.
    »Meine Buttjes haben die Aufzeichnungen in jener Kammer an sich genommen, wo der Detektiv seinen verdienten Tod fand«, fuhr der Drachenkopf fort. »Leider sind wir alle zu dumm, um die Buchstaben lesen zu können. Aber ich bin sicher, dass der kluge Boysen dazu in der Lage ist.«
    Aus seiner Ostasienzeit wusste Boysen, dass die Chinesen mit ihren vielen tausend Schriftzeichen das lateinische Alphabet als primitiv und unbeholfen verachteten. Aber für solche kulturellen Feinheiten hatte er jetzt keinen Sinn. Boysen wollte nur noch eins, nämlich in Ruhe das Tagebuch lesen.
    »Ich stehe tief in deiner Schuld, Kwan Lok«, sagte er. »Wie geht es Li Fang?«
    »Er wird wieder gesund. Einer unserer Ärzte behandelt ihn. Es ist nicht gut, wenn er mit einer Schussverletzung in ein Krankenhaus gehen würde. Außerdem gibt es dort keinen Platz, wegen der Seuche.«
    Da hatte der alte Chinese natürlich Recht. Die Asiaten verfügten über ihre eigenen Doktoren, die mit langen Nadeln und seltsamem Gebräu wahre Wunder vollbringen konnten.
    »Der ehrwürdige Offiziant kann sich darauf verlassen, dass Kwan Lok seinen Teil der Vereinbarung einhalten wird«, versprach der Drachenkopf.
    Boysen verließ die Opiumhöhle mit gemischten Gefühlen.
    Einerseits war er jetzt endlich der Bestie auf den Fersen. Alle Hinweise auf Carl Lütke verdichteten sich. Boysen wusste nun, wo sich der Verdächtige in der Vergangenheit verkrochen hatte. Kwan Loks Männer würden garantiert die Pfandleihe im Auge behalten. Wenn Carl Lütke dorthin zurückkehrte, musste er ihnen zwangsläufig in die Arme laufen.
    Andererseits war ein Mensch gestorben, weil Boysen bei seinen Ermittlungen die chinesischen Verbrecher um Unterstützung gebeten hatte. Da war es auch kein Trost, dass Heinrich Wallmann zu Lebzeiten ein sehr unangenehmer Zeitgenosse gewesen war. Ein Menschenleben zählte nicht viel bei Kwan Lok und dessen Buttjes – diese Tatsache hatte der Offiziant nicht genügend berücksichtigt.
    Bei seinem Eintreffen in der Davidwache erwartete Boysen bereits ein Haufen Arbeit. Gerne hätte er sich sofort dem Tagebuch gewidmet. Aber wenn er nicht endgültig wegen Pflichtvergessenheit hinausgeworfen werden wollte, musste er zunächst seinen Dienstobliegenheiten nachkommen. Immerhin kommandierte er während dieser Schicht die 20 Constabler, die zwischen dem Fischmarkt und der Reeperbahn für Ruhe und Ordnung sorgten. 20 Männer waren die übliche Sollstärke; aufgrund der Cholera-Epidemie fielen allerdings fünf Udels wegen Krankheit aus.
    Die Bekämpfung der Seuche dominierte in diesen Tagen auf der Davidwache die polizeiliche Arbeit. Boysen musste Constabler einsetzen, um die städtischen Wasserwagen zu sichern. Bei der Verteilung von sauberem Trinkwasser gab es immer wieder Gedrängel und Schlägereien. Teilweise wurden auch die Gefangenentransporter zweckentfremdet, um Erkrankte in die Cholera-Baracken zu schaffen. Nun war endgültig klar, dass die Stadt Hamburg über viel zu wenige Krankenwagen verfügte.
    Als die Schicht endlich vorbei war, hatte Boysen sich lange genug zurückgehalten. Er brannte darauf, das Tagebuch zu lesen. Doch dann fiel ihm ein, dass Anna garantiert auch gern einen Blick auf die Seiten werfen würde. Sie kannte die Verhältnisse in Blankenese viel besser als Boysen und würde manche Aussage gewiss besser einordnen können.

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